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Literatur und germanistische Literaturwissenschaft

 

Max Kommerell (1902–1944)
von Uwe Jochum
 

      Max Kommerell (1902–1944)
      Max Kommerell (1902–1944)
© Foto aus H.G. Gadamers "Philosophische Lehrjahre"

Als Max Kommerell im Jahr 1930 von Vittorio Klostermann für seinen eben erst gegründeten Verlag unter Vertrag genommen wurde, standen Autor und Verleger, beide um die dreißig Jahre alt, am Wendepunkt ihres Lebens. Während es für Klostermann darum ging, den Schritt vom Verlagsangestellten zum selbständigen Verleger und Antiquariatsbuchhändler zu tun und dabei einen Kreis namhafter Autoren zu gewinnen, ging es für Kommerell darum, sich dem George-Kreis, dem er seit dem Jahr 1921 angehörte und der seine Selbstachtung zu tangieren drohte, zu entziehen und seinen Weg als Wissenschaftler zu machen.

Max Kommerell habilitierte sich im Jahr 1930 in Frankfurt am Main für "Germanische Philologie" und ließ seine Antrittsvorlesung über Hugo von Hofmannsthal – auch dies ein Schritt der angestrebten Distanz zum George-Kreis – bei Klostermann erscheinen (Hugo von Hofmannsthal, 1930). Damit war der Grund für eine langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Autor und Verleger gelegt: Dieser hatte seinen ersten Autor gefunden und jener einen Verleger, der vom George-Kreis völlig unabhängig war und seiner neuen Lebenssituation entsprach.

Dass Kommerell der Rede über Hofmannsthal eine rhapsodische Reflexion Jugend ohne Goethe (1931) folgen ließ, verstärkte den Abstand zu George, denn – wie er seinem Verleger erläuternd schrieb – in Goethe könne die Jugend, die sich "im Streben nach Haltung und Gemeinschaft dem Pathos verschrieben habe", "den Gegensatz des jugendlichen Wollens" ehren und somit "die Krise des Versprechens und nicht Einlösens" überwinden lernen.

Diese Einlassung repliziert nicht nur deutlich auf Georges "Sprechweise höchster Salbung", sondern bekennt sich inhaltlich und formal zur kleinen Form, die als Essay oder lyrisches Gedicht Gestalt annimmt und dieses Eigene in der ersten, außerhalb des George-Kreises publizierten Gedichtsammlung der Leichten Lieder (1931) fast programmatisch verkündet: "Manchem ward ein schöner Lied / Aber dies ist meines". Kein Wunder, dass der 'Staat' – der Kreis um George – gegen die Veröffentlichung der Gedichte nicht nur Bedenken trug, sondern die Drucklegung bei Bondi, dem Verlag des George-Kreises, "wegen zu geringen Umfangs" verhinderte.

Von den letzten Schlacken des George-Kreises befreite Kommerell indessen erst der Nationalsozialismus. Hatte er unter Georges Einfluss in seinem 1928 bei Bondi erschienenen Buch Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik der Jugend noch die Augen "über diesen deutschen Kräftestrom" öffnen wollen, hatte er 1930 noch Hitlers Mein Kampf für "borniert, bäurisch ungeschlacht, aber in den Instinkten vielfach gesund und richtig" gehalten und sich 1933 in Frankfurt am Main sogar für das Amt des Dozentenführers hergegeben, so verlor er in eben diesem Jahr 1933 alle Illusionen, die Nationalsozialisten "geistig aufbessern" zu können. Der äußere Anlaß für diesen Illusionsverlust lag sicherlich in seinem Eintreten für den dem Regime missliebigen Philosophen Kurt Riezler. Hierdurch verlor er nicht nur das Amt des Dozentenführers wieder, sondern auch der erhoffte Ruf auf einen Lehrstuhl rückte in weite Ferne. Indessen vollzog sich hier doch nur im Äußeren, was durch die Distanz zur "Sprechweise höchster Salbung" bereits vorbereitet war: die Behauptung des Ästhetischen wider seine Vereinnahmung durch die Politik eines wie auch immer gearteten 'Staates'.

In dieser Behauptung des Ästhetischen als eines Freiraumes inmitten des unheilvoll Politischen wusste sich Kommerell mit seinem Verleger einig, dem er im September 1933 schrieb: "Was ich höchlich begrüße, ist: dass Menschen von Niveau, die sich nicht in falscher Weise aktualisieren, bei einem Verleger, der sich nicht in falscher Weise aktualisiert, zu gleicher Zeit über sehr große Gegenstände sich grundsätzlich äußern. Das hat etwas Symbolisches, und es ist grad genug. Mündlich würden wir uns sofort verstehen, ich glaube aber auch, dass dies hinreicht." Und etwa ein Jahr später, als er Klostermann das Manuskript zur Legende von den vier Teilen des Tages schickte, schrieb er ihm: "Anbei schicke ich Ihnen mein Poem. Mit der Bitte, dass Sie es in irgend einer Form veröffentlichen. Ich habe sehr viel darin deponiert, und diese stille Wirkung auf Ähnlichgesinnte ist fast das Einzige, was mir noch wichtig ist und mich freut – wer weiß, wie lange sie noch möglich ist."

Gestört wurde das freundschaftliche Verhältnis zwischen Autor und Verleger indessen im Jahr 1938, als Kommerell in der Hoffnung, ein größeres Publikum zu erreichen, auf ein Angebot Peter Suhrkamps einging, im Verlag S. Fischer einen Gedichtband zu veröffentlichen. Nachdem die Wogen geglättet waren, blieb es für einige Zeit bei einer Art Arbeitsteilung: Bei S. Fischer erschien Kommerells Dichtung, bei Klostermann Kommerells essayistisch-wissenschaftliches Werk, so die bis heute wirksamen Werke über Lessing und Aristoteles und Geist und Buchstabe der Dichtung (beide 1940). Erst als Suhrkamp zögerte, den Gedichtband Mit gleichsam chinesischem Pinsel zu publizieren, kehrte Kommerell im Jahr 1943 auch mit seinem dichterischen Werk zu Klostermann zurück.

Seiner schweren Krankheit, die ihn seit 1941 immer wieder zu ausgedehnten Sanatoriumsaufenthalten zwang, hat er im Jahr 1943 noch die Tragödie Die Gefangenen (erschienen 1948), die Kasperlespiele, eine Übertragung Calderons (erschienen 1946) und den Essay-Band Gedanken über Gedichte (1943) abgetrotzt, aber seit Mai 1944 konnte er nicht mehr selbst schreiben und musste seine Briefe seiner Frau diktieren. Max Kommerell starb am 25. Juli 1944.

Nach dem Krieg wurde es still um Kommerell, trotz mehrfacher Versuche, durch die Neupublikation von Teilen seines Werkes eine größere Leserschaft für ihn zu gewinnen. Dies betrifft jedoch nur die unmittelbare Wirkung Kommerells, denn unterhalb der stillen Oberfläche zeigt sich vor allem seine Essayistik als eine wirkungsvolle Strömung. Nicht nur ragt sie als eine voluminöse Dokumentation der zwanziger, dreißiger und frühen vierziger Jahre in unsere Zeit herein, sie stellt vielmehr auch eine eigenständige und tief reflektierte Annäherung an die große Literatur dar, die Max Kommerell als ein "Schicksal" begreiflich zu machen sucht.

 

 

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