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Das philosophische Programm

 

Hans Lipps (1889–1941), Karl Reinhardt (1886–1958), Kurt Riezler (1882–1955), Erich Rothacker (1888–1965)
von Siegfried Blasche


Der Schülerkreis Heideggers dominierte bei den philosophischen Veröffentlichungen in den dreißiger Jahren, daneben aber gab es weitere gewichtige Autoren, die der Verleger an sich binden konnte. Seine ganz besondere Verehrung galt Kurt Riezler, der allerdings Ende der dreißiger Jahre zur Emigration gezwungen wurde. Von ihm ist eine Übersetzung und Interpretation des Parmenides (1934) erschienen, die dann im Jahr 1970 von Hans-Georg Gadamer noch einmal herausgegeben wurde, und ferner sein Traktat vom Schönen (1935). Riezler hoffte, für die Bewältigung seiner eigenen Schwierigkeiten mit den Nationalsozialisten, die er zunächst für nur lokale Gegnerschaften hielt, auf Heideggers Hilfe: "Haben Sie irgend etwas, direct oder indirect, von Heidegger gehört, was mich angeht. Er könnte doch jetzt wieder zu sich selbst kommen" (Brief an Klostermann vom 7. Juni 1934) und "Vielleicht ist es doch zweckmäßig M. Heidegger auf irgend eine Weise über die Bübereien zu informieren und ihm auch zu sagen, dass ich nicht resigniere" (Brief an Klostermann vom 16. Februar 1936).

Nach dem Krieg, Riezler lebte in New York, wurde der Briefwechsel wieder aufgenommen, und Riezler kommentierte sehr aufmerksam und kritisch Heideggers neue Veröffentlichungen. Am 1. Februar 1949 schrieb er zu Heideggers Brief Über den Humanismus: "Mit seinem Aufsatz [...] über Humanismus wird er schwerlich jemand umwerfen, trotz aller Künste des Sagens. Das macht beinahe den Eindruck als wäre er jetzt auf dem Wege vom Nichts zu Gott in der Mitte – bei dem Geheimnis des Seins – angekommen."
 

Karl Reinhardt  (1886-1958)     
Karl Reinhardt (1886–1958)
© Verlag
 

Der bedeutende Altertumswissenschaftler Karl Reinhardt war Autor bei Cohen gewesen. Er war von 1923 bis 1941 und dann ab 1946 wieder Professor in Frankfurt am Main und schon dadurch ein Gesprächspartner des Verlegers. Die Bestände und Rechte an dem bereits im Jahr 1916 bei Cohen erschienenen Buch über Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie konnte Klostermann erwerben und in seinen Verlagsprospekten schon früh anzeigen. Dieses "bahnbrechende" Werk (Gadamer) ist in seinem ersten Teil dem Nachweis des inneren Zusammenhangs der beiden Teile des Lehrgedichts des Parmenides gewidmet, einerseits der Wahrheit und andererseits dem Meinen. Im zweiten Teil stellt Reinhardt das Schülerverhältnis des Parmenides zu Xenophanes in Frage. Im dritten Teil zeigt er die Identität in der philosophischen Grundfrage zwischen Parmenides und Heraklit, deren "innere Nähe" (Gadamer). Sie stimmen in der Frage überein, wie mit dem Gegensätzlichen umzugehen sei, sie differieren aber in den Antworten. Reinhardt legt Wert darauf – auch in historischer Sicht –, Parmenides aus sich selbst zu interpretieren, und nicht aus einer Gegnerschaft zu Heraklit. Reinhardts Sophokles erschien im Jahr 1933. Beide Bücher erzielten inzwischen jeweils vier Auflagen.

Nach dem Vorbild des von Hanns Wilhelm Eppelsheimer besorgten, seit dem Jahr 1937 erschienenen Handbuch der Weltliteratur, plante der Verleger gemeinsam mit Erich Rothacker die Herausgabe eines Handbuchs der Geschichte der Philosophie, das kurze Informationen über Personen und Sachgebiete enthalten, insbesondere aber als bibliographisches Nachschlagewerk dienen sollte. Geplant war ein lexikalisches Auskunftsmittel, das nicht zu umfänglich sein sollte, gleichwohl aber die wichtigsten philosophischen Strömungen präsentierte. Diese Pläne gediehen weit, wurden dann aber während des Krieges nicht weiter verfolgt. Nach dem Krieg nahm Vittorio Klostermann die Pläne wieder auf und überredete schließlich Wilhelm Totok, dieses Werk in Angriff zu nehmen. Im Jahr 1937 war ein Band mit etwa 500 Seiten geplant worden, das von Totok zwischen 1964 und 1990 schließlich realisierte sechsbändige Werk hat einen Umfang von nahezu 4000 Seiten.

Hans Lipps, dessen Werk heute in der philosophischen Fachwelt kaum noch erwähnt wird, war mit mehreren Titeln bei Klostermann vertreten. Hans-Georg Gadamer hat dessen Werke in fünf Bänden (1976/77) herausgegeben und mit einem Vorwort versehen. In seinen Philosophischen Lehrjahren widmet er Lipps, der am 10. September 1941 als Regimentsarzt vor Leningrad gefallen ist, ein warmherziges Kapitel: "Wer ihn näher gekannt hat, spricht mit rückhaltloser Verehrung von ihm." Es ist auch hier die, wie Helene Klostermann berichtet, etwas kauzige Person des Autors gewesen, die dem Verleger zusagte. Aber es lag natürlich auf der Hand, dass er mit Lipps, der in Bad Homburg wohnte und seit 1935 an der Frankfurter Universität einen philosophischen Lehrstuhl innehatte, schon der räumlichen und fachlichen Nähe wegen einen engen Kontakt pflegte.
 

Hans Lipps, der bei Edmund Husserl studiert hatte und von Heideggers Daseinsanalytik beeinflusst worden war, wandte sich der Bedeutung der Sprache für den Menschen zu und begann seine hermeneutisch-logischen Überlegungen – man könnte ihn heute in die Nähe der Sprechakttheorie stellen – mit einer Analyse der situationsbezogenen Rede. In ihr gründen alle auf Objektivität zielenden Erkenntnisleistungen und das Verständnis von Wahrheit. Er ist einer der wenigen deutschen Autoren, die damals durch den amerikanischen Pragmatismus beeinflusst worden waren. Im Jahr 1927, also noch vor Vittorio Klostermanns dortiger Geschäftsführertätigkeit, hatte Lipps bei Cohen seine Untersuchungen zur Phänomenologie der Erkenntnis veröffentlicht. Im Jahr 1938 erschienen nun die Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik, aus dem Nachlass dann im Jahr 1944 Die Verbindlichkeit der Sprache.


 

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