Abstracts Heft 2/2025
Manuel Horlacher (Basel): Überlegungen zur Auswirkung mütterlicher Melancholie und väterlicher Passivität auf die Entwicklung der frühen Beziehungsrepräsentanz
Zusammenfassung Die frühen Selbst-, Objekt- und Beziehungsrepräsentanzen des Säuglings entwickeln sich im Zusammenspiel mit seinen Primärobjekten. Anhand eines Fallbeispiels geht der Autor der Frage nach, wie sich die mütterliche Melancholie und die väterliche Passivität auf die Entwicklung der Beziehungsrepräsentanz auswirken und wie diese spezifische Beziehungsrepräsentanz im Verlauf des analytischen Prozesses in der Dynamik von Übertragung-Gegenübertragung wiederauflebt.
Summary The infant’s early self, object and self–object representations develop in interaction with its primary objects. Using a case study, the author explores the question of how maternal melancholy and paternal passivity affect the development of the self–object representation and how this specific relational representation is revived in the course of the analytical process in the dynamics of transference-countertransference.
Esther Hutfless (Wien): Von Implantationen, Intromissionen und sozialen Urszenen – Zur Psychoanalyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse
Zusammenfassung
Der Beitrag entwickelt eine psychoanalytisch fundierte Theorie der Einschreibung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen in das Unbewusste. Ausgehend von autobiografischen Beispielen – insbesondere Didier Eribons und Annie Ernaux’ Auseinandersetzung mit Scham, sozialer Herkunft und Homophobie – wird gezeigt, wie soziale Hierarchien innerpsychische Konflikte prägen können. Hutfless bezieht sich in der Konzeptualisierung von Einschreibeprozessen vor allem auf Jean Laplanches Beschreibung des Unbewussten, auf sein Modell der Implantation rätselhafter Botschaften sowie den Begriff der Intromission, über den auch gewaltvolle, mit Bedeutungsimperativen aufgeladene Erfahrungen und deren psychische Einschreibung erfasst werden können. Hutfless schlägt vor, die Konstitution des Subjekts nicht nur über sexuelle, sondern auch über soziale Urszenen zu denken. Ausgehend von diesen sozialen Urszenen und deren unbewusster Verarbeitung kann gezeigt werden, wie intersektionale Machtverhältnisse – etwa durch Rassifizierung, Klassismus oder Heteronormativität – psychisch wirksam werden. Der Text versteht sich als Plädoyer für eine politische Psychoanalyse, die soziale Machtverhältnisse nicht als äußerlich, sondern als konstitutiven Bestandteil psychischer Realität begreift und therapeutisch bearbeitet.
Summary
This article develops a psychoanalytically grounded theory of how social power relations are inscribed into the unconscious. Drawing on autobiographical examples – particularly Didier Eribon’s and Annie Ernaux’s reflections on shame, social origin, and homophobia – it illustrates how social hierarchies can shape intrapsychic conflict. In conceptualizing these processes of inscription, Hutfless primarily engages with Jean Laplanche’s theory of the unconscious, especially his model of the implantation of enigmatic messages and his concept of intromission, which allows for the theorization of violent experiences loaded with meaningful imperatives and their psychic inscription. Hutfless proposes to conceive subject formation not only through sexual but also through social primal scenes. These social scenes and their unconscious processing demonstrate how intersectional power relations – such as those shaped by racialization, classism, or heteronormativity – exert psychological effects. The article advocates for a political psychoanalysis that understands social power relations not as external to psychic life, but as constitutive of psychic reality, and as such, as essential to therapeutic work.
Wolfgang Till (Wien): Über die Macht von Diskriminierung, Beleidigung und Heteronormativität, ihre Aus- und Einwirkungen auf homosexuelle Männer
Zusammenfassung
Dieser Beitrag greift psychoanalytische und soziologische Sichtweisen auf. Zunächst wird die gesellschaftliche Situation homosexueller Männer – im Spektrum von Diskriminierung, Beleidigung und Heteronormativität – sowohl historisch als auch auf die Gegenwart bezogen skizziert. Danach werden theoretische psychoanalytische Überlegungen vorgestellt, die – basierend auf der Theorie des vollständigen Ödipuskomplexes – das Spezielle der ödipalen Situation proto-homosexueller Jungen aufzeigen. Eine wesentliche Bedeutung kann dabei die Zurückweisung durch den Vater haben. Weiters zeigt der Autor, dass diese Erfahrungen oft mittels Identifikation mit dem Aggressor abgewehrt werden. Dies kann bedeuten, dass es zu einer Identifikation mit der homophoben, ablehnenden Haltung des Vaters kommt und in der Folge zu Schwierigkeiten bei der Entwicklung einer homosexuellen Identität. Schließlich werden drei Fallvignetten vorgestellt. Der Beitrag endet mit der Schlussfolgerung, dass frühe Diskriminierungen und Zurückweisungen sowohl beim Entstehen von internalisierter Homophobie eine wesentliche Rolle spielen können als auch dabei, wie Diskriminierungen von erwachsenen Homosexuellen erlebt und verarbeitet werden.
Summary
This essay deals with psychoanalytical and sociological points of view. At the beginning, the social situation of gay men – including discrimination, insult, and heteronormativity – is outlined both historically and in relation to the present day. Then it presents psychoanalytical reflections – based on the theory of the complete Oedipus complex – to show the characteristics of the oedipal situation of proto-homosexual boys. Rejection by the father can play a significant role in this. Furthermore the author demonstrates that these experiences are often defended by means of identification with the aggressor. This can lead to identification with the homophobic, rejecting attitude of the father and consequently to difficulties in developing a homosexual identity. Subsequently, three case vignettes are presented. The article ends with the conclusion that early discrimination and rejection can play a significant role both in the development of internalised homophobia and in how discrimination is experienced and processed by adult homosexuals.
Elisardo César Merea (Buenos Aires) Erweiterungen des Narzissmus: Psychoanalyse, Krieg, Klima
Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht die Psychoanalyse als Anker in turbulenten Zeiten und betont die Notwendigkeit, dass sie sich dynamisch mit Themen wie Krieg und Klimakrise auseinandersetzt. Es wird argumentiert, dass Narzissmus die Grundlage für gesellschaftliche Aggression, Krieg und Umweltzerstörung ist, was einen Wandel hin zu kollektiver Verantwortung und antinarzisstischem Handeln erforderlich macht. Unter Rückgriff auf metapsychologische Rahmenbedingungen und interdisziplinäre Erkenntnisse hebt Merea das Potenzial der Psychoanalyse hervor, Verständnis und Transformation zu fördern und gleichzeitig unbewusste Dynamiken zu adressieren, die sich dem Wandel widersetzen. Der Beitrag plädiert für eine kontinuierliche psychoanalytische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen.
Summary
This paper explores psychoanalysis as an anchor in turbulent times, emphasizing the need for it to engage dynamically with issues like war and climate crisis. The author argues that narcissism underpins societal aggression, war, and environmental harm, necessitating a shift toward collective responsibility and antinarcissistic action. Drawing on metapsychological frameworks and interdisciplinary insights, Merea highlights psychoanalysis’ potential to foster understanding and transformation while addressing unconscious dynamics that resist change. The paper advocates continuous psychoanalytic engagement with societal and cultural challenges.
Tomas Plänkers (Frankfurt): Geschichten von Dreiecken – Gedanken zu den Grundlagen der Psychoanalyse in den Kulturen
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die universelle Gültigkeit des Ödipuskomplexes in verschiedenen Kulturen und erörtert die Rolle der Psychoanalyse als Anker in chaotischen Zeiten. Freud formulierte sein Verständnis des Ödipuskomplexes zunächst auf der Grundlage seines eurozentrischen Konzepts von Zivilisation und Kultur, was dazu führte, dass außereuropäische Kulturen als »primitiv« wahrgenommen wurden. Als sich die Psychoanalyse jedoch nach Asien ausbreitete, stieß sie auf hochentwickelte, außereuropäische Kulturen und deren indigene Psychologie. Der Autor geht hier auf Einwände asiatischer Kulturen gegen die universelle Gültigkeit des Ödipuskomplexes ein. Es werden Beispiele aus indischen, chinesischen und japanischen Mythen angeführt, die Freuds Konzept in Frage stellen. Der Autor argumentiert, dass diese Mythen und kulturellen Variationen keine Antipoden des Ödipuskomplexes sind, sondern vielmehr kulturelle Varianten einer universellen Dreiecksbeziehung. Die östlichen Mythen deuten darauf hin, dass die frühe Mutter-Kind-Beziehung eine zentrale Rolle in der kulturellen Entwicklung spielt und den Frauen eine bedeutende Rolle zuweist – im Gegensatz zu Freuds Ansichten. Darüber hinaus stellt der Autor die Vorstellung in Frage, dass die kulturelle Identität zwischen dem Westen und dem Osten unvergleichbar sei. Zwar gebe es Unterschiede in der analytischen Arbeit und den kulturellen Praktiken, die universelle Fähigkeit des Menschen, über sich selbst nachzudenken und mit den Tatsachen des Lebens umzugehen, bleibe aber unverändert. Abschließend wird die Notwendigkeit erörtert, dass sich die Psychoanalyse mit der individuellen und gesellschaftlichen Wendung gegen die strukturelle Dreiheit befasst, die sich in regressiven Formen und politischen Bewegungen manifestieren kann. Er betont die Bedeutung einer Kultur des Denkens und der Integration, um destruktiven Tendenzen entgegenzuwirken.
Summary
The article examines the universal validity of the Oedipus complex in different cultures and discusses the role of psychoanalysis as an anchor in chaotic times. Freud initially formulated his understanding of the Oedipus complex based on his Eurocentric concept of civilization and culture, which led to non-European cultures being perceived as »primitive«. However, as psychoanalysis spread to Asia, it encountered highly developed non-European cultures and their indigenous psychology. The author addresses the objections of Asian cultures to the universal validity of the Oedipus complex. Examples are given from Indian, Chinese and Japanese myths that question Freud’s concept. The author argues that these myths and cultural variations are not antipodes of the Oedipuscomplex, but rather cultural variants of a universal triangular relationship. The Eastern myths suggest that the early mother-child relationship plays a central role in cultural development and assigns a significant role to women – contrary to Freud’s views. Furthermore, the author questions the idea that cultural identity between the West and the East is incomparable. While there are differences in analytic work and cultural practices, the universal capacity of human beings to reflect on themselves and deal with the facts of life remains unchanged. He concludes by discussing the need for psychoanalysis to address the individual and social turn against the structural trinity, which can manifest itself in regressive forms and political