Johannes Döser (Essen): »Einsamer nie als im August« Vom Glück, die Einsamkeit zu teilen
Zusammenfassung
Die seelische Erfahrung der Einsamkeit wird in Bezug gesetzt zur Ausstoßung des erwachenden Subjekts aus der »gedeuteten Welt«, in der es sich davor »zu Hause« wähnte. Wie das Wort »allein« umfasst diese Erfahrung ein weites Spektrum menschlicher Situationen, das von der Todesangst bis zum Entwicklungsschub, von unerträglicher Verlassenheit bis zur Notwendigkeit des Für-sich-Seins reicht, in welchem der Einzelne im Zuge seiner Reifung in An- und Abwesenheit seiner Bezugsobjekte zu sich selber kommt. Die vielfältigen Verbindungen zwischen Einsamkeit und Sublimierung bilden einen Schwerpunkt dieser Arbeit. In Szenen aus einer Kinderanalyse und im Dialog von Faust und Mephistopheles in der »finsteren Galerie« (Müttermythe; Faust II) am Schluss werden einige Zusammenhänge zwischen Sublimierung und Einsamkeit anschaulich greifbar.
Summary
The psychological experience of loneliness is related to the awakening subject’s expulsion from the »interpreted world« in which they previously thought they were »at home«. Like the word »alone«, this experience encompasses a broad spectrum of human situations, ranging from the fear of death to the developmental spurt, from unbearable abandonment to the necessity of being on one’s own, in which the individual comes to himself in the course of his maturation in the presence and absence of his reference objects. The manifold Connections between loneliness and sublimation form a focal point of this work. In Scenes from a child analysis and in the dialogue between Faust and Mephistopheles in the »dark gallery« (mother myth; Faust II) at the end, some of the Connections between sublimation and loneliness become vividly tangible.
Ewa Kobylinska-Dehe (Berlin): Mensch ohne Welt? Von der Stummheit zur Grundmelodie der Seele
Zusammenfassung
Der Aufsatz basiert auf einem klinischen Vortrag, in dem dargestellt wurde, wie in winzigen Schritten während eines langen psychoanalytischen Prozesses eine junge Frau aus einer autistischen Kapsel auftauchte und den Leib, den inneren Raum, die Sprache und die Fähigkeit zum Träumen (wieder-)gewann. Dabei werden Konzeptualisierungen wie »träumerisches Sprechen«, »indirektes Sprechen «, »mimisch-gestische Kommunikation«, »Metaphorisierung des Körpers«, »unadressierte Beschreibungen« und »Anrufungen« angeboten und diskutiert. In Anlehnung an Merleau-Pontys Phänomenologie der Zwischenleiblichkeit, Dolars Überlegungen zur Stimme und Ogdens Gedanken zum Träumen entwickelt die Autorin ihren eigenen Begriff des träumerischen Sprechens und zeigt dessen entscheidende Rolle bei der Konstituierung des verkörperten Subjekts. Den Rahmen des Aufsatzes bilden Reflexionen über autistoide Rückzüge und den Verlust der Lebenswelten in unserer Gesellschaft.
Summary
The article is based on a clinical lecture in which it was shown how, in microsteps during a long psychoanalytical process, a young woman emerged from an autistic capsule and (re)gained the body, inner space, language and the ability to dream. Conceptualizations such as »dream-talk«, »indirect talk«, »mimic-gestural communication«, »metaphorisation of the body«, »unaddressed descriptions« and »appeals« are proposed and discussed. Taking inspiration from Merleau-Ponty’s phenomenology of intercorporeality, Dolar’s reflection on voice and Ogden’s thoughts on dreaming, the author develops her own Notion of dream-talk and shows its crucial role in the constitution of the embodied subject. The framework of the essay is formed by reflections on autistic retreats and the loss of life-worlds in our society.
Andreas Mittermayr (Wien): In Kafkas Haut – Schicksale und Restitutionsversuche des Haut-Ichs
Zusammenfassung
Kafkas Texte bieten einen reichhaltigen Fundus, will man die Strukturen und Repräsentationen des »Haut-Ichs«, seine mannigfaltigen Schicksale, Störungen und Restitutionsversuche näher untersuchen, um die Linse für dergleichen Phänomene und ihre Bedeutungen in der klinischen Arbeit zu schärfen. Der Autor rekapituliert die Thesen Didier Anzieus, wie er sie vor allem in seiner zum Klassiker gewordenen Arbeit von 1985 entwickelt, und schlägt Ordnungskategorien vor, die ein hautbezogenes Nachdenken über literarisches und klinisches Material erleichtern. Die Unterscheidung zwischen erster Haut (das Körperorgan), zweiter (textile oder andere direkt auf der Haut getragene Hüllen oder Schichten) und dritter Haut (die uns umgebenden Wände) und ihren jeweiligen psychischen Repräsentationsformen und den korrespondierenden Strukturen des Haut-Ichs erlaubt dabei, ein mitunter anderes und neues Verständnis verschiedener Pathologien bzw. Symptome (Masochismus, Borderline, Paranoia u.a.) zu gewinnen und dieses für hilfreiche Deutungen im psychoanalytischen Prozess nutzbar zu machen.
Summary
Kafka’s texts offer a rich source of material if one wishes to examine the structures and representations of the »skin ego«, its manifold vicissitudes, disorders and restitutional attempts more closely in order to sharpen the lens for such phenomena and their meanings in clinical work. The author recapitulates Didier Anzieu’s theses, as he developed them in his 1985 work, which has become a classic, and proposes organisational categories that facilitate skin-related considerations of literary and clinical material. The distinction between first skin (the body organ), second skin (textile or other coverings or layers worn directly on the skin) and third skin (the walls surrounding us) and their respective forms of psychic representation and the corresponding structures of the skin ego allow us to gain a somewhat different and new understanding of various pathologies and symptoms (masochism, borderline, paranoia, etc.) and to utilize this for helpful interpretations in the psychoanalytical process.
Patrick Schwengeler (Bern): Wo kein Schmerz ist, da fehlt auch die Lust
Zusammenfassung
In Das ökonomische Problem des Masochismus (1924c) erwähnt Freud die Begriffe Rhythmus und regressive Entstellung, ohne sie näher zu erläutern. In diesem Aufsatz werden diese beiden Begriffe ausführlicher diskutiert. Der Rhythmus – nach Freud ein qualitativer Charakter – wird als veränderliche Variable von Analysand und Analytiker bestimmt und findet seinen Ausdruck in einem sich bildenden Analysekörper. Durch die Funktion der regressiven Entstellung können frühe traumatische Ereignisse, die sich im Masochismus ausdrücken, mithilfe des Analytikers, der zum Objekt der regressiven Entstellung wird, prozesshaft bearbeitet und verstanden werden. Dies wird durch den klinischen Fall einer Patientin illustriert, die an schwerer Bulimie leidet. Das Ergebnis eines solchen Prozesses hängt von den regressiven Fähigkeiten des Analytikers ab. Sein Taktgefühl und seine Intuition (von Sándor Ferenczi 1928 eingeführte Begriffe) sind mit dem Rhythmus verbunden und spielen dabei eine wichtige Rolle.
Summary
In The Economic Problem of Masochism (1924c) Freud mentioned the Terms rhythm and regressive distortion (Entstellung) without elaborating on them. In this paper, these two terms are discussed in more detail. The rhythm – according to Freud a qualitative character – as a changeable variable is determined by the analysand and analyst and finds expression in a forming body of analysis. Through the function of regressive distortion, early traumatic events, which find expression in masochism, can be absorbed and understood processually with the help of the analyst who becomes the object of the regressive distortion.
This is illustrated by a clinical case of a patient suffering from severe bulimia. The outcome of such a process depends on the regressive capabilities of the analyst. His tact and intuition (terms introduced by Sándor Ferenczi in 1928) are related to rhythm and play thereby an important role.