Eine Untersuchung anhand des Tractatus testimoniorum des Bartolus von Sassoferrato
2002. XVIII, 440 Seiten. Ln € 78.-
ISBN 978-3-465-03240-3
Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Band 158
Das "Buch der Zeugenaussagen" von Bartolus von Sassoferrato, das er bei seinem Tod 1357 unvollendet hinterließ, galt späteren Juristen als dessen wichtigstes und philosophischstes Werk. In der Forschungsliteratur wird dieser Text dagegen stiefmütterlich behandelt oder als typisches Erzeugnis der scholastischen Jurisprudenz herabgesetzt. In dieser Arbeit wird die Bedeutung des Werkes anhand der Zahl und des Ranges der mittelalterlichen Handschriftenbesitzer und Leser des Textes hervorgehoben. Eine genaue Analyse der heute bekannten 43 Manuskripte bietet einen bislang unbekannten Einblick in die Arbeitsweise des Bartolus. Die Behandlung des Stoffes in einer monographischen Schrift (tractatus) erweist sich als charakteristisches Beispiel für das Wissenschaftsverständnis einer zu Unrecht als Zeit der "Postglossatoren" vernachlässigten Epoche.
Hier wird nunmehr eine Edition dieses Werkes anhand von fünf ausgewählten Handschriften geboten. In zwei Appendices werden alle bekannten Handschriften beschrieben sowie die Randglossen in allen Handschriften transkribiert. Bislang verstellten die seitens der Forschungsliteratur ausschließlich verwendeten frühneuzeitlichen Drucke des Textes den Blick auf die Arbeitsweise des Bartolus wie auch auf die Bearbeitung des Textes bereits durch seine mittelalterlichen Leser. Daneben ließ eine Vertauschung von Textbögen bei der ersten Drucklegung die ursprüngliche Konzeption des Werkes nicht mehr erkennen. Auch die neuere Forschungsliteratur zum Prozessrecht verstellte durch ein ausdrücklich oder indirekt unterstelltes Entwicklungsmodell den Blick auf eine genauere Würdigung dieses Textes. Demnach sei erst im römisch-kanonischen Prozessrecht die Ermittlung einer materiellen Wahrheit als Ziel der Beweisführung postuliert worden. Hierbei sei der Zeugenbeweis als rationales Beweismittel von zentraler Bedeutung gewesen. Dagegen sei im gelehrten Beweisrecht keine Freiheit des Richters zur Würdigung der Beweise vorgesehen gewesen, sondern erst in den Kodifikationen des Prozessrechts im 19. Jahrhundert erreicht worden. Dieses einseitige Bild kann anhand der Edition des Tractatus testimoniorum jetzt korrigiert werden.