Die Diskussion um die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der westdeutschen Zivilrechtslehre der Nachkriegszeit (1945–1957)
2005. XII, 202 Seiten. Kt 39,00 €
ISBN 978-3-465-03382-0
Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Band 178
"Bonner Grundgesetz und Zivilrecht" - mit diesem Thema wurde am 15. Oktober 1951 die erste Zivilrechtslehrertagung in Bad Kreuznach eröffnet. Über sechs Jahre nach Kriegsende bemühten sich die westdeutschen Zivilrechtslehrer erstmals öffentlich, in bewußter Abkehr vom kollektivistischen Denken im Nationalsozialismus ein Privatrechtsverständnis zu propagieren, in dem die Freiheit und die Würde des Einzelnen die höchsten Werte darstellten.
Doch wie war es tatsächlich um das Rechtsverständnis der Zivilrechtler bestellt? Das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 dient als Anknüpfungspunkt der Untersuchung. Die neue Verfassung stellte auch das Zivilrecht auf eine völlig neue Grundlage. Vor allem die Familienrechtswissenschaft fand sich in einer bis heute einmaligen Lage wieder. Die heute unspektakulär anmutende Aussage des neuen Art. 3 II GG, "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", verwarf das gesamte bisherige Regelungskonzept des patriarchalischen Familienbildes im BGB von 1900. Somit blieb der Zivilrechtslehre keine Wahl: Sie mußte sich die Frage stellen, wie ein Familienrecht auszusehen habe, das der Erwartung des Grundgesetzes entsprach. Der nach dem Krieg unter Zivilrechtlern beliebte Rückzug in die "stille Bucht der Rechtsdogmatik" (Ludwig Raiser) war nun nicht mehr möglich.
Christine Franzius stellt in ihrer Untersuchung die Reaktionen der Zivilrechtslehrer auf das Grundgesetz, ihre Standpunkte zur Gleichberechtigung und ihre Argumente bis zum Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes im Jahre 1957 dar und fragt nach ihrer Rolle und Tätigkeit während des NS-Regimes. An den Äußerungen der Rechtslehrer nach 1945 läßt sich ein Rechts- und Selbstverständnis ablesen, das mit dem emphatischen Bekenntnis von 1951 nicht so recht übereinstimmen will.