Zur Funktion von Krankheitsmotiven in "Buddenbrooks"
2008. 412 Seiten. Ln 39,00 €
ISBN 978-3-465-03557-2
Thomas-Mann-Studien Band 40
In Buddenbrooks wird der Verfall einer Familie aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Die medizinisch-biologische Dimension verdient dabei besondere Aufmerksamkeit. Nur im Kontext zeitgenössischer Degenerationskonzepte ist zu verstehen, warum sich der Niedergang der Buddenbrooks auf die geschilderte Art und Weise vollzieht. Das medizinische Wissen der Zeit bietet dabei nicht nur Erklärungen für die mannigfaltigen Erscheinungsformen des Verfalls - es ist auch zum Verständnis der Ursachen unabdingbar. Im Sinne der stark anthropologisch orientierten Entartungstheorien der Zeit hat Johann Buddenbrook sich eines moralischen Fehlverhaltens schuldig gemacht und dadurch einen Degenerationsprozess in Gang gesetzt, der in Folge zum irreversiblen Schicksal der Nachgeborenen wird. Mit dem Fortschreiten dieses gesetzmäßig inszenierten Niedergangs des Biologischen erschließt sich der Roman zunehmend in mythologischen Kontexten.
Medizinische Aspekte stehen im Text nicht isoliert. Durch ihre vielfältigen Bezüge ermöglicht ihre Berücksichtigung bei der Interpretation des Romans vielmehr neue Einsichten. So weist der biologische Verfall auffallende Parallelen zu Schopenhauers Erblichkeitskonzeption auf, gemäß der der Wille über den Vater und der Intellekt über die Mutter weitergegeben wird. Ferner kann die religiös-moralische Komponente des Degenerationsgeschehens im Kontext der Lübecker Katechismen gedeutet werden. Nietzsches Forderung einer Übertragung ins Bürgerliche wird dabei auch im Hinblick auf die biblische Geschichte entsprochen, so dass sich der Roman nicht zuletzt als – freilich ironisch reflektiertes – Erbsünden-Exempel erweist.