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Zur Geschichte

Von Uwe Jochum


Die politische Spaltung Deutschlands, die der vom Nationalsozialismus entfachte Weltkrieg hinterlassen hatte, bedeutete auch eine Spaltung des deutschen Bibliothekswesens. Das war geradezu symbolisch daran ablesbar, daß das 1884 gegründete Zentralblatt für Bibliothekswesen, dessen Erscheinen 1944 hatte eingestellt werden müssen, zwar seit 1947 wieder veröffentlicht werden konnte, nun aber ein Publikationsorgan war, dessen angestammter Verlag Harrassowitz mit dem Verlagsort Leipzig in der Ostzone lag. Wer die politischen Vorgänge mit wachem Auge betrachtete, der mußte zweifeln, ob das Zentralblatt angesichts der Verschiebung des politisch-geographischen Raumes noch lange ein neutrales Organ für ein einheitliches deutsches Bibliothekswesen sein könne. Zwar beschwor Joris Vorstius im ersten Heft des Nachkriegsjahrganges 61 den „Zusammenhalt der Kollegen in West, Süd, Nord und Ost" (S. 2), aber der neue politische Ton, der das Zentralblatt zu einer „universelle[n] Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft und Bibliothekspolitik, für Theorie und Praxis des Bibliothekswesens" (ebd., S. 1) erklärte, war kaum zu überhören. Daß ebendiese Bibliothekstheorie nun nicht mehr nur historisch verfahren sollte und daß man auf der Suche nach einer neuen Bibliothekspraxis auf die Volksbüchereien zugehen wollte (ebd., S. 2 f.), war daher mehr als eine einfache Erweiterung der bibliothekarischen Basis, es kündigte sich darin vielmehr die unter kommunistischem Vorzeichen stattfindende politische Instrumentalisierung der Bibliotheken an. Dieser lag mehr daran, die Bibliotheken zu einem „einheitlichen Faktor in unserer geistigen Kultur und im Leben unseres Volkes" zu machen (ebd., S. 3), als daß sie noch Interesse an dem Programm hätte nehmen können, mit dem das Zentralblatt einst angetreten war: „Selbstverständlich werden wir jede von der unseren abweichende Auffassung dessen, was innerhalb unseres Faches und Berufes wünschenswerth und erstrebenswürdig erscheint, bereitwilligst und ungeschmälert zum Worte kommen lassen, sobald die Motivirung derselben eine rein sachliche ist. Denn nur durch eine möglichst vielseitige Discussion der zahlreichen unser Fach berührenden Controversen, das ist unsere feste Ueberzeugung, wird die Lösung derselben herbeigeführt, und können die Interessen unseres Standes gefördert werden." ("Zur Einführung". In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 1 [1884], S. 1-5, hier S. 5.)


Kein Wunder also, daß man in den Westzonen bereits 1946 mit dem Plan einer eigenen Bibliothekszeitschrift umging, den Plan aber in der Schwebe lassen mußte, weil „der Weg zwischen den Zeiten und Zonen" zu „unsicher und ungewiß schien". (Hans W. Eppelsheimer, Gustav Hofmann, Hermann Tiemann: "Zum Geleit". In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 1 [1954], S. 1-2, hier S. 1.) So kam es 1948 zunächst zur Gründung der Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken, die im Auftrag des Vereins Deutscher Bibliothekare bei Klostermann erschienen und lediglich „schnellem, gegenseitigem Meinungsaustausch, kurzen Informationen und praktischen Fragen der Bibliotheksverwaltung und -organisation" dienen sollten, ohne „der bisherigen repräsentativen Zeitschrift des deutschen Bibliothekswesens, dem Zentralblatt, dessen Schwergewicht auf wissenschaftlichen Abhandlungen und umfangreichen Berichten liegt, Konkurrenz machen zu wollen" (Gustav Hofmann: "Zum Geleit". In: Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken 1 [1948], H. 1/2, S. 1-2, hier S. 1.). Das waren jedoch, wie Insider wußten, nichts weiter als Kautelen, die den Vorwurf, man wolle das deutsche Bibliothekswesen spalten, abwehren sollten. (Gespräch zwischen Herrn Prof. Wilhelm Totok und Vittorio E. Klostermann, 26.6.1998 [Verlagsarchiv Klostermann].) Als die Spaltung aber politisch manifest geworden war, da konnte man den „Platzhalter" (Eppelsheimer/Hofmann/Tiemann: "Zum Geleit" [wie Anm. 45], S. 1.) Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken durch eine vollwertige Zeitschrift ersetzen; und so trat im Jahre 1954 die bei Klostermann erscheinende Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (ZfBB) als Organ des Vereins Deutscher Bibliothekare und des Vereins der Diplombibliothekare an wissenschaftlichen Bibliotheken die Nachfolge der Nachrichten an.


Die Festlegung der ZfBB auf das wissenschaftliche Bibliothekswesen der Bundesrepublik führte freilich dazu, daß neben der ZfBB weitere bibliothekarischen Fachzeitschriften entstehen konnten, die andere Schwerpunkte setzten, sich etwa speziell den öffentlichen Bibliotheken widmeten oder sich der Bibliotheks- und Buchgeschichte verschrieben. Das hat die Bedeutung der ZfBB nicht gemindert und ihrem Absatz nicht geschadet. Ganz im Gegenteil konnte sie sich stets als die führende deutsche Bibliothekszeitschrift behaupten, die nicht nur aufgrund der Vermehrung der wissenschaftlichen Bibliotheken infolge der zahlreichen Universitätsneugründungen der 60er und 70er Jahre die Zahl ihrer Abonnenten stetig erhöhen konnte. (Klostermann an Totok, 6.4.1973 [Verlagsarchiv Klostermann]: "Wie ich Ihnen sagte, ist das Interesse an der Zeitschrift nicht schlecht. Die Abonnentenzahl nimmt stetig zu. Dies hat immerhin ermöglicht, daß seit mehr als 10 Jahren der Preis nicht verändert zu werden brauchte. Sie kosten [sic] jetzt übrigens die Hälfte des ‘Leipziger Zentralblattes’. Vielleicht kann man den Umfang um 4 Bogen erhöhen und dabei auch gleichzeitig eine Korrektur des Preises, die nunmehr notwendig ist, vornehmen.") Vielleicht lag das Geheimnis dieses Erfolges einfach darin, daß die ZfBB das ursprüngliche Anliegen der Nachrichten — die rasche Information — mit der Reflexion auf die „Tradition des deutschen Bibliothekswesens" verband. (Eppelsheimer/Hofmann/Tiemann: "Zum Geleit" (wie Anm. 45), S. 2. Dort heißt es weiter: "Wir empfinden dies Bibliothekswesen als Teil eines weltweiten Anliegens; seine Geschichte interessiert uns, wenn sie uns neue Erkenntnisse vermittelt.") Als daher in den 70er Jahren der Bibliotheksdienst die Rolle des bibliothekarischen Nachrichtenorgans übernahm, konnte sich die ZfBB weiterhin als Medium der Reflexion all jener Probleme bewähren, die durch die Datentechnik und neue Managementmodelle auf die Bibliotheken zukamen.


Eine Akzentverschiebung kündigt sich freilich seit der Wiedervereinigung an, in deren Folge die beiden wichtigsten deutschen bibliothekarischen Fachzeitschriften, die ZfBB und das Zentralblatt für Bibliothekswesen, im Jahre 1991 im Klostermann-Verlag zusammengeführt wurden. (Seit Jahrgang 38 [1991] lautet das Titelblatt der Zeitschrift: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Vereinigt mit Zentralblatt für Bibliothekswesen.) Denn nun gilt es, das ursprüngliche Themenspektrum des Zentralblattes, das durch die Politisierung zu DDR-Zeiten verdeckt worden war, in das Themenspektrum der ZfBB zu integrieren. In den Worten des Herausgebers: „Die Themenschwerpunkte werden über die bisher behandelten Bereiche hinaus auch wieder stärker Beiträge zur Buchkunde und zur Bibliotheksgeschichte berücksichtigen und damit nicht nur an eine frühere Tradition des Zentralblatts anknüpfen, sondern auch einer heutigen Entwicklung im Bibliothekswesen Rechnung tragen." Damit leistet die neue ZfBB mehr als nur einen bibliothekarischen Beitrag zur Wiedervereinigung. In der Integration des Zentralblattes liegt vielmehr die Möglichkeit, das Bibliothekswesen wieder stärker für die wissenschaftliche Diskussion zu öffnen und jenseits der Mitteilungen über das Alltagsgeschäft oder mehr oder weniger erfolgreiche EDV-Installationen nach dem Sinn und Zweck des Ganzen zu fragen