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Thomas Buchheim: „Philosophy is dead“ (Stephen Hawking)

Wer weiß, dass er nicht tot ist, wenn er lautstark für tot erklärt wird, sollte ein Lebenszeichen geben, damit er nicht auch noch begraben wird und so am Ende elendiglich ersticken muss. In diesem Sinn möchte auch ich ein solches Zeichen geben, obwohl ich sicherlich nicht denjenigen Lebensraum mit bevölkere, in dem Stephen Hawking sich so gut auskennt, dass er zur amtlichen Ausstellung solcher Totenscheine gerufen wird.

Die Philosophie hat nie beansprucht, der naturwissenschaftlichen oder speziell physikalischen Theoriebildung mächtig zu sein. Es ist daher kein Wunder, dass sie nicht inkompetent dort mitzusprechen versucht, wo solche Theorien gebildet werden. Umgekehrt hat eine lebendige Philosophie es noch nie nötig gehabt, denen Vorhaltungen zu machen, die sich inkompetent zum Stand der Philosophie äußern, weil es das Wesen des philosophischen Nachdenkens ist, alle etablierte wissenschaftliche Kompetenz und Expertise immer von neuem durch zunächst inkompetent wirkende Querschläger zu erschüttern und so neue und frische Anstrengungen der Philosophie zu erzeugen.

Insofern wäre zu wünschen, dass auch Stephen Hawkings philosophisch inkompetente Äußerung die Philosophie zu neuen Anstrengungen aufstachelt, nicht nur eine „M theory“ des ganzen Universums aufzustellen, sondern vielmehr besser zu begreifen, wie überhaupt eine Theorie des Universums im ganzen Universum  auf- und vorkommen kann, worüber mir die M-theory und alles, was Stephen Hawking dazu bisher gesagt und beigetragen hat, nicht die mindeste Auskunft zu geben scheint.

Die Philosophie ist methodisch diszipliniertes Denken, das erst wirklich aufs Ganze geht, insofern es seinen eigenen Status und sein eigenes Vorkommen in dem betreffenden Ganzen immer mit bedenkt und im Auge behält. Ein Objekt wissenschaftlicher Theorien kann deshalb nie ein Ganzes in diesem philosophischen Sinne sein, sondern speist sich zumindest zum Teil aus dem Objekt nicht zugehörigen Ressourcen und Prämissen der Theoriebildung. Das tut die philosophische Art, das Tatsächliche und Mögliche zu thematisieren, nicht. Zu jedem ihrer Themen gehört die Selbstthematisierung der philosophischen Zuwendung zu ihm.

Mir scheint nun das Leben in all seinen Varianten und Schattierungen dies Besondere zu haben, dass es sein eigenes objektives Vorkommen in sich selbst auf irgendeine Weise auch thematisiert – zumindest zu einem geringen Teil oder unter gewissem Aspekt tut dies jedes Lebendige, erst recht alles, was Wahrnehmungen hat. In seiner Gänze dagegen oder in vollständiger Selbstumfassung täte es dies, wenn überhaupt je, dann da, wo es durch eine dieser Angelegenheit wirklich gewachsene Philosophie thematisiert würde.

Daran arbeiten wir Philosophen und Philosophinnen schon lange mit wechselndem Erfolg und mehr oder weniger ausstrahlender Überzeugungskraft. In diesem Bemühen kommen wir der Realität des Lebens jedenfalls näher als jede M theory, so kompakt sie das Universum auch verpacken wollte durch eine einheitliche Theorie all seiner zehn, elf oder auch noch mehr Dimensionen – um mit einer physikalisch völlig inkompetenten Bemerkung dieses kleine Lebenszeichen der Philosophie abzuschließen.


Thomas Buchheim ist Professor für Philosophie an der Universität München.

 

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