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Vittorio Klostermann und sein Verlag

 

Die Anfänge (Teil I)
von Siegfried Blasche

 

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    Vittorio Klostermann (1901–1977)

Zum siebzigsten Geburtstag von Vittorio Klostermann im Jahr 1971 veröffentlichte Friedrich Georg Jünger im Börsenblatt des deutschen Buchhandels seine sehr persönlich gehaltene Laudatio:

"Manchmal haben Sie mir gesagt, dass Sie Ihren Verlag in ungünstiger Zeit begonnen haben. Die weisen Leute, die sich mit der Herstellung von Prognosen beschäftigen, rieten von einem solchen Wagnis ab. Solche Leute gackern überall und zu jeder Zeit, doch legen sie niemals Eier. [...] Mir schien an Ihrem Verlag immer gut, daß Sie ihn klein begannen und in den Grenzen und Maßen hielten, die für Sie übersehbar waren. Ihr Verlag war und blieb ein Ein-Mann-Verlag, blieb an Ihre Person gebunden. [...] Es ist so, daß die runden Jahre hervorgehoben und ausgezeichnet werden. Das geschieht nicht nur bei den Geburtstagen und hat seinen Grund nicht in der Länge der Zeit und der Dauer allein, sondern in der Wiederkehr, ohne die es nichts Rundes gibt."

Nun kann der von Vittorio Klostermann gegründete Verlag auf eine siebzigjährige Geschichte zurückblicken, und er ist nach dem Tod von Michael Klostermann, der mit seinem jüngeren Bruder Vittorio Eckard seit 1976 den Verlag geleitet hatte, wiederum ein Ein-Mann-Verlag. Bei aller Übersichtlichkeit der Organisation und der räumlichen Konzentration in der Frauenlobstraße [seit 2016 in der Westerbachstraße] in Frankfurt am Main unterschätzt man immer noch leicht dessen Größe. Es sind insgesamt 1.804 Titel, die bis heute [im Jahr 2022 sind es rund 3.000 Titel] erschienen sind, und von ihnen sind immer noch 1.249 [im Jahr 2022: 1.833 Titel] lieferbar.      

Michael Klostermann      
Michael Klostermann (1939–1992)      

In der sachlichen Ausrichtung hat es seit der Gründung keine Brüche gegeben, sondern ein kontinuierliches Wachstum. Was hinzu kam, das wuchs gewissermaßen an. Der vor allem nach dem Krieg bestehenden Versuchung, das Verlagsprogramm durch die Aufnahme von Titeln aus zu unterschiedlichen Sachgebieten zu verwässern, wurde bewusst widerstanden. Druckkostenzuschüsse waren kein Grund, Titel aufzunehmen, und Dissertationen wurden nur in Ausnahmefällen akzeptiert. Zwar gibt es Sammelwerke, die zu einem bestimmten Thema Aufsätze vereinigen, und auch Festschriften, aber sie sind die Ausnahme. Das Schwergewicht liegt auf Monographien.

In früheren Zeiten, als die durchschnittlichen Verlagsgemeinkosten, die pro Titel anfallen, noch nicht so hoch waren, konnten auch Schriften geringen Umfangs, etwa Reden und Aufsätze, einzeln veröffentlicht werden. Im Vergleich zu anderen Verlagen hat Klostermann im Übrigen stets darauf geachtet, die Preise seiner Bücher in zumutbaren Grenzen zu halten. Auch konnten und können die Autoren sicher sein, dass sie ihre Bücher nicht eines Tages auf den Ramschtischen des modernen Antiquariats wieder finden.

 

     VEK
    Vittorio E. Klostermann (*1950)

Als das Unternehmen gegründet wurde, hatten mehrere – durchaus schon renommierte – Autoren den Mut, dem neuen wissenschaftlichen Verlag – und d.h. seinem Gründer – ihre Werke anzuvertrauen, und bis auf wenige Ausnahmen blieben sie ihrer Entscheidung auch treu. Sie sorgten dafür, dass ihre Schüler ebenfalls bei Klostermann veröffentlichten, und diese verfuhren dann mit den ihren in gleicher Weise. So ergab sich gewissermaßen von selbst innerhalb der Sparten des Verlages und über sie hinweg ein sachlicher Zusammenhang. Am deutlichsten sichtbar ist dies an der in einem weiten Sinne phänomenologischen Ausrichtung im philosophischen Schwerpunkt des Verlages, mit Namen wie Otto Friedrich Bollnow, Walter Bröcker, Eugen Fink, Hans-Georg Gadamer, Martin Heidegger, Friedrich-Wilhelm v. Herrmann, Hans Lipps, Herbert Marcuse u.a.

Daneben aber waren stets auch Autoren anderer Richtungen vertreten, sei es, weil sie schon einen Namen hatten, sei es, weil sie überzeugend empfohlen worden waren, sei es auch deshalb, weil sich der Verleger selbst vergewisserte. Er tat sich etwas darauf zugute, sich mehr die Autoren als die Manuskripte anzusehen, was den schmunzelnden Beifall Hugo Friedrichs fand. Klostermann schrieb in einem Aufsatz über die Verlegerpersönlichkeit, dass weder Lektoren noch wissenschaftliche Gutachten hinreichend seien, die verlegerische Entscheidung herbeizuführen: "Die verlegerische Tätigkeit ist an die Person eines Verlegers gebunden und hat ihr Korrelat in der individuellen Leistung eines Verlegers. Das richtige Verhalten zwischen Autor und Verleger ist ein Vertrauensverhältnis auf Jahre. Es regt an, ermuntert und warnt. Der Verleger wartet mit dem Autor auf den Erfolg, unterstützt bei Angriffen und Mißdeutungen." – Im Börsenblatt apostrophierte man aus Anlass des fünfundsiebzigsten Geburtstages von Vittorio Klostermann sein Unternehmen als einen "wissenschaftlichen Persönlichkeitsverlag reinster und bester Prägung".

Bei älteren Titeln ist der Absatz heute verständlicherweise oft nur noch marginal. Da viele dieser Bücher aber noch lieferbar sind, ist die siebzigjährige Verlagsgeschichte stets gegenwärtig. Sie ist auch denen gegenwärtig, die mit den Büchern des Verlages in ihrem jeweiligen Fachgebiet groß geworden sind. Die meisten Werke haben an aktueller Bedeutung nichts eingebüßt, denn die Forschungsergebnisse in den Geisteswissenschaften werden ohnehin nicht im gleichen Maße durch die Zeit überholt wie in den exakten Wissenschaften. Legt aber ein Verlag überdies noch einen so großen Wert auf die inhaltliche Qualität seiner Veröffentlichungen, wie der Verlag von Vittorio Klostermann, dann sind seine Bücher ein steter Begleiter. Allein schon die über die Jahre hinweg nur wenig modifizierten grauen Umschläge der Bücher und die Schrift der Rückentitel sind ein im Bücherschrank sich abhebendes Markenzeichen. Oft erinnern sie daran, dass diese Bücher die eigene Biographie entscheidend geprägt haben. Viele der Bücher, auf der Seite der Autoren ebenso wie auf derjenigen der Leser, haben über wissenschaftliche Grundorientierungen und Karrieren mitentschieden. Wer bei Klostermann veröffentlicht hatte, war oft genug dadurch schon prädestiniert, an eine Hochschule berufen zu werden.
 

Das Signet des Verlags

 

 
Verlagssignet bis 1952 und seit 2013 wieder  
   

Ein weiteres Markenzeichen ist das Signet des Verlages, nach dessen Bedeutung oft gefragt wird. Vittorio Klostermann hatte eine gewisse Affinität zur Astrologie und war von einem ihm als jungem Mann gestellten Horoskop sehr beeindruckt. Das eigene Sternbild des Steinbocks verband der Verleger zunächst mit dem seiner Frau, einer Wassermännin. Als dann seine drei Kinder geboren waren, die – mögen es die Sterne so gewollt haben – ebenfalls unter das Zeichen des Wassermanns fielen, fügte er die das Wasser symbolisierenden Doppellinien auch rechts, links und unten dem Signet zu. Dem Verlagssignet ist es übrigens zu verdanken, dass Wilhelm Knappich im Jahr 1967 seine Geschichte der Astrologie dem Verlag anbot, ein Standardwerk, das bislang drei Auflagen erlebte.

 

Das Signet des Verlags

 

 
Verlagssignet von 1952–2012  
   

Von allgemeinem Interesse ist der exemplarische Charakter der Geschichte dieses Verlages, der mitten in der Wirtschaftskrise im Jahr 1930 gegründet wurde und der mit seinen Autoren große Mühe hatte, die Zeit nach 1933 zu überstehen und sofort nach 1945 wieder zu beginnen; der dann in der Person des Verlegers einen bestimmenden Einfluss auf das Buchwesen nach dem Kriege gewann und sich wesentliche Verdienste um die Wiedergewinnung geisteswissenschaftlicher Standards in Deutschland erwarb.

Der im Jahr 1901 geborene Verlagsgründer Vittorio Klostermann war Buchhändler in der zweiten Generation. Sein Vater Eckard Klostermann trat im Jahr 1900 als persönlich haftender Gesellschafter in die Frommann’sche Buch- und Kunsthandlung in Jena ein und durfte sich fortan als Großherzoglich Sächsischer Hofbuchhändler titulieren. Er übernahm Mitte der zwanziger Jahre die Geschäftsführung der Gesamtfirma von Friedrich Cohen in Bonn, bei der er bereits seine Buchhändlerlehre absolviert hatte. Vittorio Klostermann, der zunächst ebenfalls in der Frommann’schen Buchhandlung angestellt war, folgte im Jahr 1924 dem Vater nach Bonn und arbeitete zunächst im Sortiment und Antiquariat von Cohen. Nebenher hörte er in Bonn und Köln Vorlesungen und ließ sich schließlich für einen Studienaufenthalt in München beurlauben.

Eigentlich wäre er gern in das Bankwesen übergewechselt, hier war aber keine Ausbildungsstelle zu finden. So übernahm er im Jahr 1928 die Leitung des geisteswissenschaftlichen Verlags von Friedrich Cohen. Dieser Verlag war aus finanziellen Gründen und vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise schon zu dieser Zeit kaum noch in der Lage, sich größeren Buchprojekten zuzuwenden. Es war der Initiative Klostermanns zu verdanken, dass noch im Jahr 1929 Bücher von Friedrich Dessauer, Moritz Geiger, Martin Heidegger, Karl Mannheim, Walter F. Otto und Max Scheler erscheinen konnten. Karl Mannheim etwa veröffentlichte sein Hauptwerk Ideologie und Utopie auf Betreiben Klostermanns. Walter F. Ottos Die Götter Griechenlands. Das Bild des Göttlichen im Spiegel des griechischen Geistes wäre aber wegen der schwierigen Finanzlage beinahe nicht verlegt worden. Die Einstellung der verlegerischen Tätigkeit Cohens war zu diesem Zeitpunkt schon beschlossene Sache.

 

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