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Das philosophische Programm

 

Die Martin Heidegger Gesamtausgabe
von Siegfried Blasche


Die Publikation einer Gesamtausgabe der Schriften Heideggers wurde zum ersten Mal im Sommer 1951 von dessen Frau Elfride angesprochen, aber noch im Jahr 1968 äußerte Heidegger Zweifel an einem derart anspruchsvollen Programm. Im Sommer 1973 erbat Vittorio Klostermann die Unterstützung des Sohnes von Martin Heidegger. In langen Gesprächen gelang es Hermann Heidegger, seinen Vater nunmehr von dem Sinn einer Gesamtausgabe zu überzeugen. Den Plan hierfür und den ersten Verlagsprospekt hat Martin Heidegger zwischen Oktober 1973 und August 1974 – unter Mitwirkung seines damaligen Privatassistenten Friedrich-Wilhelm v. Herrmann – selbst noch erarbeitet. Arnold Gehlen, selbst eine Gesamtausgabe planend, schrieb an den Verleger: "Gott lasse es glücklich enden."

 

 Friedrich-Wilhelm von Herrmann und Martin Heidegger (1889–1976)      

Friedrich-Wilhelm von Herrmann (*1934) und Martin Heidegger (1889–1976): Aufnahme von 1976
© privat

     

Im Jahr 1975 begann dann in zügiger Folge zunächst die Veröffentlichung von Vorlesungen aus der Marburger Zeit, ein besonderer Markstein für die Heidegger-Rezeption. Es war zwar aus den Berichten seiner Hörer bekannt, wie beeindruckend in inhaltlicher und rhetorischer Hinsicht Heidegger in den fünf Jahren seiner Marburger Professur Vorlesungen und Übungen abgehalten hatte. Erst jetzt aber wurde für die Leser von Sein und Zeit deutlich, dass dieses Werk sich neben dem bekannten Einfluss der phänomenologischen Philosophie ganz wesentlich einer Interpretation der Schriften Platons und vor allem Aristoteles´ verdankte. Die nächsten Bände füllten eine zwischen Sein und Zeit (1927) und dem Kantbuch (1929) liegende Lücke und trugen dazu bei zu klären, warum Heidegger den Plan der Fortführung seines Hauptwerkes nicht realisierte. Die veröffentlichten Vorlesungen aus den beginnenden dreißiger Jahren wiederum halfen, die Stellung Heideggers zum Nationalsozialismus und seine immer stärkere Distanzierung zu ihm deutlich zu machen. Von der Heidegger-Rezeption gerade erst in Ansätzen erfasst ist die Bedeutung der großen, von ihm selbst nicht veröffentlichten Schriften aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, insbesondere die der umfänglichen Beiträge zur Philosophie (geschrieben 1936–1938, GA Bd. 65) und der Besinnung (geschrieben 1938/39, GA Bd. 66). Geplant sind insgesamt 102 Bände, bis zum Frühjahr 2001 erschienen davon 62.

Ausdrücklich verzichtet wurde darauf, eine kritische Ausgabe herauszugeben. Mit Kommentierungen halten sich die Herausgeber weitgehend zurück. Die Schriften sollen so wirken, wie sie zu ihrer Zeit veröffentlicht, geschrieben oder gesprochen worden sind. Die anfangs häufig geäußerten Vorbehalte gegen die Form der Veröffentlichung des Gesamtwerks sind inzwischen weitgehend verstummt. Die Herausgabe der Texte wird nicht, wie sich dies bei anderen Werkausgaben herausgestellt hat – man denke etwa an die Leibniz-, die Fichte- oder die Hegelausgabe –, zum unabschließbaren Selbstzweck. Jeder neue Band ergibt neue Aspekte, und so ist es nicht verwunderlich, dass die internationale Heidegger-Forschung trotz gewaltiger Belebung mit der Geschwindigkeit der Veröffentlichung der Werke nicht Schritt halten kann.

 

      Hermann Heidegger (*1920)
      Hermann Heidegger (*1920): Aufnahme von 1989
© privat

Nach dem Tode Martin Heideggers übernahm – testamentarisch bestimmt – sein Sohn Hermann die Verwaltung des schriftlichen Nachlasses und die Erteilung des Imprimatur. Die Herausgabe der einzelnen Bände wird von der Heideggerschen Philosophie verbundenen, im Fach ausgewiesenen Personen und deren Schülern besorgt, u.a. von Walter Biemel, Walter Bröcker, Käte Bröcker-Oltmanns, Ingtraud Görland, Klaus Held, Curd Ochwadt, Ingeborg Schüßler und Hartmut Tietjen. Unter den Herausgebern ist vor allem Friedrich-Wilhelm v. Herrmann hervorzuheben, in dessen Händen heute die fachphilosophische Verantwortung für die Gesamtausgabe liegt. Die eigenen Schriften v. Herrmanns werden sämtlich bei Klostermann verlegt. Im Jahr 1971 erschien als sein erstes Buch die umfängliche Abhandlung Bewußtsein, Zeit und Weltverständnis. Es folgten seitdem insgesamt elf Titel, die meisten zur Interpretation von Werken Heideggers, aber auch zu Husserl und zu Augustin. Unter den Heidegger-Interpretationen sind insbesondere der begonnene Kommentar zu Sein und Zeit, der eine Fortsetzung finden wird, sowie Wege ins Ereignis. Zu Heideggers "Beiträgen zur Philosophie" (1994) zu nennen, mit dem v. Herrmann einen Zugang zu Heideggers zweitem Hauptwerk zu öffnen sucht.

Für Martin Heidegger sind zwei Festschriften im Verlag von Vittorio Klostermann veröffentlicht worden. Zu seinem sechzigsten Geburtstag erschienen die Anteile (1950) mit bedeutenden Beiträgen von Walter Bröcker, Hans Georg Gadamer, Romano Guardini, Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Gerhard Krüger, Karl Löwith, Walter F. Otto und Karl-Heinz Volkmann-Schluck, also fast durchgängig von Autoren des Verlages, deren Verbindung zur Heideggerschen Philosophie hier besonders deutlich wurde. Die umfänglicheren Durchblicke (1970) erschienen zum achtzigsten Geburtstag. Die Autoren dort sind Vertreter der zweiten Schülergeneration, die Heidegger persönlich oder seinem Werk verbunden waren. Walter Biemel und Friedrich-Wilhelm v. Herrmann haben 1989 schließlich, aus Anlass des hundertsten Geburtstags von Martin Heidegger, die Gedächtnisschrift Kunst und Technik (mit einem Geleitwort Hans-Georg Gadamers) herausgegeben, in der die These Heideggers, dass Technik und Kunst wesensmäßig aufeinander verweisen, von verschiedenen Autoren der Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte, oft beispielsbezogen, erörtert wird.

 

 

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