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Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie

 

Erik Wolf (1902–1977)
Von Alexander Hollerbach

      Erik Wolf (1902–1977) und Werner Maihofer (1918–2009)
      Erik Wolf (1902–1977) und Werner Maihofer (1918–2009)
© privat


Alsbald kam zu diesem ersten Strang ein zweiter hinzu. Die Öffnung des Verlags für die Jurisprudenz ist nämlich aufs engste mit der Person und dem Werk Erik Wolfs verbunden. Es waren Martin Heidegger und Hugo Friedrich, die Kontakte zwischen ihm und dem Verleger anregten. Ein erstes persönliches Kennenlernen fällt in den Februar 1941, als durch den Krieg die Verlagsarbeit schon erheblich behindert war. Erik Wolf hatte ein Manuskript anzubieten, das denn auch alsbald – nach der nötigen Papiergenehmigung – sozusagen als Erstling bei Klostermann erschien: Der Rechtsgedanke Adalbert Stifters (1941). Nicht von ungefähr war diese Schrift Martin Heidegger gewidmet, dem Erik Wolf für seinen eigenen Denkweg so viel verdankte. Diese Schrift, so sagt der Autor in seiner Vorbemerkung, ist "aus der Frage erwachsen, ob Dichtung etwas Verbindliches vom Wesen des Rechts aussagen kann. Sie hat kein literarhistorisches, sondern ein rechtsphilosophisches Anliegen". Damit ordnete sich dieses Werk einerseits in das bisher erkennbar gewordene Profil des Verlages ein, andererseits machte der Verleger damit deutlich, dass die Pflege des positiven Rechts und seiner Dogmatik nicht so sehr seine Sache war, schon gar nicht die damals vielfach propagierte "Neue Rechtswissenschaft" unter nationalsozialistischem Vorzeichen.

In einer zweiten Phase ließ sich der Verlag für ein Projekt gewinnen, das zwar äußerlich die spezifische Zeitsituation widerspiegelt, mit dem aber wiederum ein Zeichen gegen vorherrschende Trends gesetzt wurde. Erik Wolf gedachte Lesehefte für Frontsoldaten herauszubringen, um auf diese Weise angehenden Juristen geistige Nahrung zu vermitteln, und im Rahmen dessen, was man damals "Fernbetreuung" nannte, die Verbundenheit von Fakultäten und Universitäten mit ihren Adepten zu bekunden. Nach Abklärungen mit dem Oberkommando der Wehrmacht und dem Propagandaministerium wurde im Februar 1943 ein Vertrag geschlossen. In rascher Folge erschienen dann unter dem Titel Deutsches Rechtsdenken. Lesestücke für Rechtswahrer bei der Wehrmacht fünfzehn Hefte mit sorgsam ausgewählten und edierten klassischen Texten von – in alphabetischer Reihenfolge – Johannes Althusius, Anselm v. Feuerbach, Otto v. Gierke, Rudolf v. Ihering, Franz Klein, Gottfried Wilhelm Leibniz, Franz v. Liszt, Adolf Merkel, Johannes Oldendorp, Samuel Pufendorf, Gustav Rümelin, Lorenz v. Stein, Carl Gottlieb Svarez, Ulrich Zasius und Franz v. Zeiller. In den Verlagsakten wird einmal davon berichtet, dass insgesamt 80.000 Hefte gedruckt worden seien. Die Nachfrage war enorm. Aus einem Gefangenenlager in den USA bat Leutnant Walter Hallstein, ihn mit einigen Heften zu versorgen! Für den Verlag war das Gelingen dieser Reihe unter den Bedingungen des Krieges und der Papierknappheit ein ökonomischer Faktor ersten Ranges, obwohl Ende 1944 ein großer Vorrat beim Luftangriff auf Freiburg i.Br. vernichtet wurde.

Man darf besonders unterstreichen, dass diese Reihe ein äußerst günstiges Echo fand. In einem Brief an Vittorio Klostermann vom 13. Mai 1943 spricht Erik Wolf von vielen zustimmenden und teilweise begeisterten Zuschriften von Kollegen wie Hörern. Ein besonders markantes Zeugnis ist eine Äußerung Gustav Radbruchs in einem Brief an Erik Wolf vom 28. März 1943: "Juristische Klassikerschriften gerade dieser Art herauszugeben war ein unerfüllter Plan meiner jungen Jahre – schön, dass die nächste Generation ihn jetzt verwirklichen kann! Zugleich ist Ihr Unternehmen die richtige Antwort auf die jüngst angekündigten Bestrebungen, das rechtswissenschaftliche Studium zu einer Schulung in der Berufs-Routine durch juristische Praktiker im Nebenamt zu degradieren. Sie zeigen, was die von Niemandem außer dem Rechtsgelehrten und Rechtsdenker zu lösende Aufgabe ist – die geistige und charakterliche Grundlage des Juristen-Berufs zu legen." Die von Erik Wolf initiierte Reihe wurde im Übrigen das Vorbild für parallele Bemühungen. So wurden 1943/44 von August Skalweit unter dem Titel Wegbereiter deutscher Volkswirtschaftslehre sechs Hefte mit Texten von Karl Bücher, Friedrich List, Justus Möser, Wilhelm Heinrich Riehl, Carl Rodbertus und Gustav v. Schmoller herausgegeben. In Vorbereitung war auch eine entsprechende Edition philosophischer Texte, deren Verwirklichung aber infolge der Schwierigkeiten am Ende des Krieges nicht mehr gelang. Aus den Erik Wolfschen Heften wurde schließlich der Gustav Radbruch zu seinem siebzigsten Geburtstag am 21. November 1948 gewidmete Sammelband Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Er erschien im Jahr 1949 und enthielt elf der schon 1943/44 publizierten Hefte sowie ein neues mit Texten von Friedrich Carl v. Savigny. Mit Ausnahme des Leibniz-Heftes wurden diese zwölf und die restlichen aus der ursprünglichen Serie unverändert neu aufgelegt. Einige Hefte – der herausragende "Renner" war und ist Rudolf v. Iherings Der Kampf ums Recht – wurden auch später immer wieder nachgedruckt. Ein Heft 16 kam 1959 hinzu. Es enthält einen Text von Johann Jacob Moser über Grundsätze des Völkerrechts, dessen Edition Erik Wolf schon 1944 vorbereitet hatte.

Auch der andere Strang, mit dem Erik Wolf in die Frühgeschichte des Verlags verwoben ist, fand schließlich Ausdruck in einem Sammelband, nämlich in dem schon 1946 erschienenen Buch Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung, in dem Studien über Hölderlin, Stifter, Hebel und die Droste zusammengefasst wurden. Überlegungen dazu hatten schon früh eingesetzt; der Verleger zeigte sich lebhaft interessiert und mischte sich insbesondere in die Suche nach dem adäquaten Titel für dieses Buch ein, von dem Erik Wolf selbst meinte, es sei sein "Lieblingskind". Umso mehr hat es ihn enttäuscht, dass diese feinsinnigen Studien in der juristischen Fachwelt kein nachhaltiges Echo fanden.

Die zuletzt angeführten Publikationen belegen, dass das Jahr 1945 für die Beziehungen zwischen dem Verlag und Erik Wolf keine "Stunde Null" bedeutete. Hier konnte es ohne Belastung eine Kontinuität geben. Auf bewährte Zusammenarbeit und ein festes persönliches Vertrauensverhältnis begründet, blieb in der Nachkriegsgeschichte des Verlages die Beziehung zu Erik Wolf eine Konstante und im Bereich der Jurisprudenz in den ersten Jahren eine Dominante. In rascher Folge erschienen von dem Werk Griechisches Rechtsdenken vier Bände (1950 – 56), denen dann freilich die beiden Platon gewidmeten Bände erst 1968 und 1970 folgten. Ganz im Unterschied zu seinem Werk Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, das zwischen 1939 und 1964 vier Auflagen erlebte, fand das Griechische Rechtsdenken nur eine verhältnismäßig schwache Resonanz. Dieses Werk lag offenbar quer zu vorherrschenden Trends und Wissenschaftsmentalitäten. Juristen, Historikern und klassischen Philologen war es zu philosophisch, Philosophen zu konkret auf die Phänomene Recht und Staat bezogen. Trotzdem hielt der Verlag zu seinem Autor, ja er wagte es, einen Schritt auf ein Feld zu tun, das bis dahin in seinem Programm keinen Platz hatte, nämlich das Kirchenrecht. So erschien im Jahr 1961 Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis. Dass hier, verklammert durch den Aufweis von für beide Rechte relevanten historischen, soziologischen, philosophischen und theologischen Dimensionen, katholisches und evangelisches Kirchenrecht in einem Band dargestellt wurde, war ein Ereignis. Wie fast regelmäßig hat sich übrigens der Verleger auch hier in die Titelfrage eingemischt. Erik Wolf wollte im Untertitel schreiben In ökumenischer Ausrichtung. In einem Brief vom 26. Juli 1960 schrieb Vittorio Klostermann: "Ich möchte zu bedenken geben, dass 'Ausrichtung' ein wenig angenehmes Modewort ist, das seinen Ursprung im 'Wörterbuch des Unmenschen' hat. Im Dritten Reich wurde ununterbrochen 'ausgerichtet'." Erik Wolf beugte sich und schrieb Auf ökumenischer Basis. Im Vorwort aber gebrauchte er das von ihm favorisierte und der Sache gemäßere Wort "Ausrichtung".

Abrundung und Abschluss findet in der Verlagsgeschichte das Kapitel Erik Wolf mit den beiden ihm gewidmeten Festschriften Existenz und Ordnung (1962) und Mensch und Recht (1972) sowie den drei Bänden Ausgewählte Schriften: den Rechtsphilosophischen Studien (1972), den Rechtstheologischen Studien (1972) und den Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens (1982).

 

 

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