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Abstracts Heft 1/2019

Redaktionelles Vorwort

Thomas Kurz und Katarzyna Swita: Die Übertragung in Theorie und Praxis bei Freud und seinen Schülern

Zusammenfassung
Die Konzeptualisierung der Übertragung, ihre Deutung und sogenannte Handhabung in der Praxis haben in den rund 120 Jahren seit der Entdeckung und Beschreibung des Phänomens einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren. Es ist angezeigt und soll in dieser Arbeit versucht werden, zunächst – back to the roots – nachzuzeichnen, was Freud in seinen Gesammelten Werken dazu geschrieben hat. Anhand der Erinnerungen einiger seiner ehemaligen Analysanden (Anna Guggenbühl, Hilda Doolittle, Ernst Blum, Abram Kardiner, Philipp Sarasin und John M. Dorsey) diskutieren wir seine Technik im Zusammenhang mit der Handhabung und der Deutung der Übertragung. Nach 1920 überliess Freud die Weiterentwicklung der analytischen Technik seinen nächsten Schülern: unter anderen Sándor Ferenczi, Otto Rank, Wilhelm Reich, Theodor Reik und Otto Fenichel. Wir verfolgen diese Veränderungen, die unter der Oberaufsicht Freuds publiziert wurden, und untersuchen, welche Auswirkungen diese Arbeiten auf die letzten technischen Schriften Freuds von 1933 bis 1937 gehabt haben. Am Schluss wenden wir uns kurz den Turbulenzen zu, die nach Freuds Tod in der nunmehr vaterlosen community im Zusammenhang mit der Deutung der Übertragung zu kontroversen Techniken geführt haben.

Summary
The conceptualization of transference, its interpretation and so-called handling in practice have experienced a considerable change in meaning in the approximately 120 years since the discovery and description of the phenomenon. It is appropriate, and should be attempted in this work, first – back to the roots – to trace what Freud has written in The Standard Edition of the Complete Psychological Works. Using the memories of some of his former analysands (Anna Guggenbühl, Hilda Doolittle, Ernst Blum, Abram Kardiner, Philipp Sarasin and John M. Dorsey), we discuss his technique in connection with the handling and interpretation of transference. After 1920 Freud left the further development of analytical technique to his next students: among others Sándor Ferenczi, Otto Rank, Wilhelm Reich, Theodor Reik and Otto Fenichel. We follow these changes, which were published under the supervision of Freud, and investigate the effects these works had on Freud’s last technical writings from 1933 to 1937. At the end we turn briefly to the turbulences after Freud’s death that have led to controversial techniques in the now fatherless community in connection with the interpretation of transference.

 

Manuel Horlacher: Krise in der Übertragungs-Gegenübertragungs-Bewegung und begleitender Über-Ich-Konflikt des Analytikers

Zusammenfassung
Der analytische Prozess in der Analyse von heterogenen Patienten kann zum Stillstand kommen, wenn traumatische, wenig repräsentierte oder psychisierte Triebanteile in die Übertragung eingeschrieben werden und es zu einer Krise der Übertragungs-Gegenübertragungs-Bewegung kommt. Die Funktion des Vorbewussten und ordnendes Denken werden dann beim Analysanden und beim Analytiker beeinträchtigt. Die im Folgenden diskutierte Krise, zu der es im Verlauf einer Analyse gekommen war, stand in einem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Antrag des Analytikers zur Erlangung der ordentlichen Mitgliedschaft in der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa), für den er die erforderliche Analyse schriftlich darstellte und diskutierte. Diese Arbeit stellt die Grundlage für die im Rahmen der Evaluation stattfindende Diskussion zwischen der Prüfungskommission und dem Kandidaten dar. Die Krise spitzte sich in dem Moment zu, als der Analytiker die schriftliche Arbeit über diese laufende Analyse beendet und abgegeben hatte und auf den Prüfungstermin wartete.
In der vorliegenden Arbeit steht zunächst der analytische Prozess im Mittelpunkt der Überlegungen, gefolgt von der Besprechung der Störung der Übertragungs-Gegenübertragungs-Bewegung unter Berücksichtigung eines Über-Ich-Konflikts beim Analytiker, und schliesslich wird der Ausgang der Krise thematisiert.

Summary
When in the analysis of heterogeneous patients traumatic, poorly represented drive-material comes into transference, the analytical process can come to a standstill because of a crisis in the transference-countertransference movement. Thinking and functioning of the preconscious in the analysand and the analyst are thereby impaired. The crisis discussed above is related in time and content to the analyst’s application to become a full member of the Swiss Society of Psychoanalysis (SGPsa), for which he is obliged to present a paper which provides the basis for the discussion between the examination board and the candidate. The crisis in the transference-countertransference movement came to a head when the analyst had finished and submitted the paper on this ongoing psychoanalysis and was waiting for the examination date. In this paper the reflection of the analytical process and the discussion of the disturbance of the transference-countertransference movement are at the center. The author considers also an accompanying important superego conflict of the analyst. Finally, the outcome of the crisis is discussed.

 

Waldemar Domme: Koreferat zum Vortrag von Manuel Horlacher*

Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit nimmt das Spannungsfeld der psychoanalytischen Ausbildung aus Sicht eines Kandidaten in den Blick. Dabei werden der Einfluss von psychoanalytischen Institutionen auf die Identitätsbildung sowie mögliches Beschämungspotenzial für Kandidaten in Bezugnahme auf die Konstrukte Ich-Ideal und Über-Ich dargestellt. Es sollen dabei insbesondere dysfunktionale Aspekte beschrieben werden, die aufgrund des geschlossenen Charakters der psychoanalytischen Gesellschaft gefördert werden können. Es werden mögliche Konsequenzen aufgegriffen, die sich mit dem Dilemma des Kandidaten beschäftigen, der die Rollen des Regredierten in der Lehranalyse, des Schülers in der Ausbildung, des haltgebenden Therapeuten für die eigenen Patienten und des Erwachsenen in seinem Leben einnimmt.
Abschließend werden Vorschläge erarbeitet, die die besondere Rolle des Kandidaten berücksichtigen und möglichen destruktiven Elementen der Ausbildung begegnen. Meine besondere Situation in Bezug auf die Abschlussprüfung und die Aufnahme in eine psychoanalytische Gesellschaft lässt sich als Schwellensituation verstehen und findet bei den Beispielen für Konfliktfelder in psychoanalytischen Institutionen besondere Berücksichtigung.

Summary
Psychoanalytical institutions are often described as some closed society which may support a dysfunctional development of a candidate. The dilemma of a candidate is being a student in the training, a regressed patient in his training analysis, a therapist for his own patients and an adult in his life. The significant role of a candidate in an institution is pointed out and potentially destructive elements of the training are taken into consideration.
The following work discusses the conflict area of the psychoanalytical training from a candidate’s perspective. It is shown how psychoanalytical institutions can influence a candidate’s building process of identification and potential shame with reference to the constructs of ego ideal and super-ego.

 

Erika Kittler: Der Psychoanalytiker, die Fehler und die Lehranalyse*

Zusammenfassung
Die Autorin versucht, die der psychoanalytischen Technik innewohnende spezifische Fehleranfälligkeit zu untersuchen. Da die Psychoanalyse mit explosivem Stoff zu tun hat, wie Freud sagt, und die Katastrophe als Möglichkeit, mit Bion gesprochen, stets gegenwärtig ist, sind Entgleisungen oder Missverläufe analytischer Prozesse eine stete Gefahr. Der Versuch, sich gegen diese abzusichern, führt oft mitten hinein in Übergriffe, die genau dort und dann stattfinden, wo versucht wird, eine drohende oder gefürchtete Katastrophe abzuwenden oder einzudämmen, so wie die Explosion Tschernobyls gerade durch das Eingreifen des »hilfreichen Technikers« ausgelöst worden ist. Des Weiteren wird die Fehleranfälligkeit der Lehranalyse untersucht, in der ja nichts gelehrt wird, sondern der Wunsch, Analytiker werden zu wollen, den analytischen Prozess unterhält. Die Ausbildung zum Analytiker wird als Einübung in Unsicherheit im Spannungsfeld zwischen Institutionen und Krankenkassenrichtlinien verstanden; als grundlegender Fehler werden die Vermeidung dieser Unsicherheit und eine vorschnelle Suche nach Sicherheiten angesehen.

Summary
The author tries to investigate the error-proneness which is inherent to psychoanalytic technique. Since psychoanalysis deals with explosive matters and catastrophes are always possible, there is a constant danger that the analytic process fails. Attempting to hedge against them often leads right into infringements, which happen exactly while the analyst is trying to prevent an impending catastrophe, just as the Tschernobyl explosion was triggered by the intervention of the »helpful technician«. Furthermore, the error proneness of training analysis, which is maintained by the desire to become an analyst, is investigated. The training as an analyst is sketched as training in uncertainty in the field of tension between social institutions and the rules of action of the statutory health insurance. Avoiding this uncertainty and seeking for safety hastily is considered as a fundamental mistake.

 

Eveline List: Angst vor der Wahrheit: Verwirrungen »traumatisierter« Analytiker

Zusammenfassung
Psychoanalyse ist grundsätzlich mit Wahrheit befasst, was sie zu einem an-
spruchsvollen und potenziell gefährlichen Unterfangen macht, das anfällig für Beeinträchtigungen ist, nicht zuletzt durch die Beschränkungen der Analytiker. Gewisse unbemerkte Verstrickungen, Abhängigkeiten und ungelöste Übertragungskonflikte in der Ausbildung werden dann an die nächste Analytikergeneration weitergegeben.
Im Bewusstsein der gefährlichen Folgen solcher Kollusionen zog Sándor Ferenczi 1932 die Aufmerksamkeit auf solche Probleme, die er »Sprachverwirrungen« nannte. Auch die Ausbildung selbst kann ein Hindernis von Wahrhaftigkeit werden und eher Unterwerfung und Anpassung fördern.
Diese Arbeit befasst sich anhand klinischer Beispiele mit theoretischen, klinischen und institutionellen Konsequenzen der beschriebenen Konfliktpotenziale.

Summary
Psychoanalysis is fundamentally dealing with truth; which is a demanding and potentially dangerous undertaking, easily hampered by various circumstances and not infrequently by the analysts’ limitations. Certain unnoticed coercions, dependencies, and unresolved transference conflicts in psychoanalytic training are then passed on to the next generation of psychoanalysts.
Aware of the perilous impact of such collusions Sándor Ferenczi in 1932 drew attention to these problems calling them »confusion of tongues«. Also, training itself may become an obstacle to truthfulness rather enforcing adaption and submission:
On the basis of clinical cases the paper deals with the theoretical, clinical, and institutional implications of the described conflictive potentials.