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Abstracts Heft 2/2019

Redaktionelles Vorwort

Dominique Scarfone (Montreal): Das Weibliche, der Analytiker und das Kind als Theoretiker

Zusammenfassung
Freud, Erfinder einer revolutionären Forschungsmethode, die viele traditionelle Ansichten über den Haufen warf, formulierte nichtsdestotrotz eine sehr konservative Theorie der Weiblichkeit. Während er Freuds persönliche Gleichung beiseite lässt, untersucht der Autor die intratheoretischen Faktoren, die Freud möglicherweise in die Irre geführt haben, und warnt vor ihrem Fortbestehen im heutigen psychoanalytischen Denken.

Summary
Freud, inventor of a revolutionary method of inquiry that overthrew many traditional views, nevertheless formulated a most conservative theory about femininity. Leaving Freud’s personal equation aside, the author explores the intra-theoretical factors that may have driven him astray and warns against their persistence in today’s psychoanalytical thinking.


Catherine Chabert (Paris): Weibliches im Plural: Hysterie, Masochismus oder Melancholie?

Zusammenfassung
Das Weibliche ruft vielfache Repräsentationen auf den Plan, die zwischen dem mütterlichen Ideal und der Sexualität hin und her gerissen, miteinander ringen und zu charakteristischen Triebschicksalen führen. Anhand dieser Schicksale und mithilfe der Phantasmen der Verführung und der unterschiedlichen Arten der Objektwahl werden die Verbindungen zwischen Identifizierungen und Verlust herausgearbeitet. Zwei klinische Beispiele zeigen an der Dynamik der Übertragung die Überschneidungslinien zwischen Hysterie, Masochismus und Melancholie.

Summary
The feminine calls for plural representations between the maternal ideal and sexuality struggling with singular drive destinies. These highlight the links between identification and loss, through the fantasies of seduction and the pecularities of object choices. Two clinical studies show in the dynamics of transference the crossings between hysteria, masochism, and melancholia.


Beate Koch (Zürich): Von der Gegenwärtigkeit psychischer Realität – zur Auffassung und Deutung der Übertragung bei Melanie Klein und ihren Nachfolgern

Zusammenfassung
Die Arbeit, ursprünglich im Rahmen eines Zyklus’ zum Thema »Übertragung im Blick verschiedener psychoanalytischer Schulen« vorgetragen, unternimmt es, einige spezifische Elemente für die Auffassung der Übertragung bei Melanie Klein und ihren Nachfolgern darzustellen. Mit ihrer Arbeit über frühe Objektbeziehungen, noch im vorsprachlichen Bereich operierende Abwehrmechanismen und ihrer Ergänzung der Strukturtheorie durch die Dimensionen der paranoid-schizoiden und der depressiven Position hat Melanie Klein das psychoanalytische Verständnis für die Vorgänge in der Übertragung erweitert.
Hatte die Übertragung, wie Klein annahm, ihre Wurzeln in der unbewussten Phantasie (Isaacs), welche, wie die psychoanalytische Arbeit mit Kindern verriet, in den Objektbeziehungen in Szene gesetzt wurde und diese durchtränkte, so liess sie sich auch dort nutzen, wo Wiederholung, oft mit grossem Handlungsdruck, das Bild dominierte – wenn es gelang, die Elemente dieser Phantasien und ihre Auswirkungen zu erkennen, die Mitteilung über die innere Realität des Patienten zu verstehen und im Deuten der Übertragung und des Übertragenen dem Patienten zugänglich zu machen. Diese Auffassung der Übertragung hat weitere fruchtbare Arbeit bei Kleins Nachfolgern hervorgebracht und zweifellos die zeitgenössische klinische Theorie und Technik beeinflusst, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Präsenz und die vielfältigen Erscheinungsformen psychischer Realität in der psychoanalytischen Situation lenkte. Sie unterstreicht auch die Bedeutung einer lebendigen Erfahrung im Übertragungs-Gegenübertragungs-Prozess, damit psychische Veränderung beim Patienten in Gang gesetzt werden kann. Die Entwicklung dieser reichen Tradition des »Hörens der Übertragung« bei Klein und ihren Nachfolgern wird in einem historischen Bogen nachgezeichnet und an klinischen Beispielen veranschaulicht.

Summary
The paper, originally presented in a lecture series on transference as conceptualized in different psychoanalytic schools, attempts to outline some elements essential to the perspective on transference held by Melanie Klein and her successors. It holds that by her work on early object relations, on defense mechanisms operating from the earliest preverbal stages as well as by complementing structural theory by the dimensions of paranoid-schizoid and depressive position, Melanie Klein has expanded psychoanalytic understanding of the processes at work in transference.
If transference was indeed, as Klein assumed, rooted in unconscious phantasy (Isaacs) which, as psychoanalytic work with children had shown, is played out in object relations, constantly shaping them, it should be possible to put it to use where repetition, acting, and enactment, often with powerful pressure, dominate the clinical picture – provided the analyst could detect derivatives of these phantasies and their repercussions, and succeed in making available to the patient what he/she had understood in interpretations of the transference and of the communication about the internal reality of the patient thereby transferred.
This perspective on transference has led to further fruitful work by Klein’s successors and has unquestionably influenced contemporary clinical theory and technique by drawing attention to the immediacy of psychic reality emerging in various forms within the psycho-analytic situation. It also underlines the importance of live experience in the transference-countertransference process to induce psychic change in the patient. The development of this rich tradition of »listening to the transference« is traced in a historical overview and illustrated by clinical material.


John E. Jackson (Genf und Paris): André Green: Erinnerungen an 30 Jahre der Freundschaft und der Meinungsverschiedenheiten

Zusammenfassung
Der Vortrag, der zugleich die Geschichte einer engen, fast 30-jährigen Freundschaft ist, konzentriert sich auf die Parallelen zwischen den jeweiligen intellektuellen Situationen, in welchen André Green und der Autor sich befanden: Green gegenüber der strukturalistischen Neuinterpretation der Psychoanalyse in Frankreich durch Lacan, Jackson gegenüber der strukturalistischen und poststrukturalistischen Welle der Humanwissenschaften in den Jahren zwischen 1960 und 1970. Für den einen wie für den andern war der Strukturalismus nützlich, indem er auf Konstanten aufmerksam machte, die unumgänglich waren, scheiterte aber radikal im Unterfangen, die Komplexität des Subjekts – sei es des analytischen oder des schreibenden – wiederzugeben. Unser Dialog wurde durch das Interesse, das jeder dem Fach des anderen entgegenbrachte – Green der literarischen Kritik, Jackson der psychoanalytischen Interpretation – bereichert. Die Tatsache, dass die beiden selten miteinander einverstanden waren, verstärkte paradoxerweise die Freundschaft, die auf dem Respekt beruhte, den jeder dem Denken des anderen entgegenbrachte. (Übers.: Ch. Kupferschmied).

Summary
The lecture, which is also the story of a close friendship which lasted for about 30 years, focuses on the parallels between the intellectual situations in which André Green and the author found themselves: Green opposed Lacan’s structuralist reinterpretation of psychoanalysis in France while Jackson was confronted with the structuralist and poststructuralist wave of the humanities in the years between 1960 and 1970. Structuralism was useful to both, drawing their attention to constants that were inevitable, but failed radically in understanding the complexity of subjectivity, be it the analytical or the writing subject. Our dialogue was enriched by the interest we each took in the subject of the other. The fact that we seldom agreed with each other paradoxically reinforced our friendship, which was based on mutual respect and fondness.


Franz Oberlehner (Wien): Zeit und die Arbeit mit ihrer Begrenzung

Zusammenfassung
Von wenigen physikalischen Parametern sind wir derart durchdrungen wie von der Zeit, gedanklich erfassen können wir sie aber sehr unzureichend; vor allem gelingt das über räumliche Metaphern und über das Zählen von Wiederholungen. Wichtigstes Anliegen des Beitrages ist es, darzustellen, wie sehr zykZPTPlische und lineare Formen des Zeiterlebens untrennbar miteinander verbunden sind und zugleich in Konflikt zueinander stehen, wie wir alle ständig von dieser Spannung betroffen sind und wie zentral dieses Gegenüber für jede Form psychoanalytischer Behandlung, aber insbesondere für zeitlimitierte kurztherapeutische Verfahren, ist. Je weniger wir unsere Vergänglichkeit verleugnen müssen, desto eher können wir den Wert der limitierten Gegenwart spüren und die Zeit gerade mit ihrer Beschränkung als Gewinn erfahren. Paradoxerweise müssen wir zugleich immer auch in der Lage sein, uns den rhythmischen Wiederholungen unseres Lebens hinzugeben, als gäbe es kein Ende.

Summary
Only few physical parameters pervade us as strongly as time does, but it is very difficult to adequately grasp it mentally. We do it mainly by using spatial metaphors and by counting of repetitions. The most important concern of the article is to show how cyclical and linear forms of time experience are inseparably connected and at the same time in conflict, and how we are all constantly affected by this tension, as well as how central this is for every form of psychoanalytic treatment, in particular for time-limited short-term-treatment. The less we need to deny our transience, the more we can feel the value of the limited present and experience time just with its restrictions as increase. Paradoxically, at the same time we must always be able to indulge in the rhythmic repetitions of our lives as if there were no end.