Annie Elisabeth Aubert (Orléans), Fabienne Fillion (Brüssel): Zwischen den Sprachen denken und die daran beteiligten psychischen Realitätsräume unterscheiden
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die Klinik des analytischen Denkens ausgehend vonder Erfahrung einer Arbeitsgruppe, die sich um die Sprachen versammelt hat,die – explizit und implizit – bei analytischen Begegnungen (im Zusammenhang mit der Entwicklung der weltweiten Mobilität) im Spiel sind. Ziel ist es, die Hindernisse für die Differenzierung zwischen dem Denkraum des Analytikers und dem des Analysanden zu präzisieren. Der Vortrag beginnt mit einer Beschreibung des verwendeten Gruppensettings: von der einvernehmlichen Undifferenziertheit bis zur Reflexivität, die von der Einführung der Triangulierung und der Funktion der »dritten Person« getragen wird. Die Relevanz des Dispositivs wird diskutiert. Die mündliche Übersetzung des klinischen Materials eines Analytikers, der in der mit seinem Patienten geteilten Sprache spricht, durch
einen Analytiker, der als Dolmetscher fungiert, nimmt in dieser Untersuchung einen zentralen Platz ein. Das Hören auf das Scheitern der Übersetzung und deren Weiterleitung in die assoziative Arbeit der Gruppe ermöglichen es, Differenzierungen zu denken und den Zugang zur Anerkennung des psychischen Leidens des Patienten zu finden. Anhand einiger klinischer Momente kann nachvollzogen werden, wie sich die Trennung zwischen Analytiker und Patient im Zuge der »Analyse des analytischen Rahmens« vollzieht, in dem Maße, wie sich die psychische Realität und die Außenwelt in der Dynamik der Begegnung voneinander unterscheiden.
Summary
This paper explores the clinic of analytic thought through the experience of a working group brought together to discuss the languages at stake – explicitly and implicitly – in analytic encounters under the influence of changes in mobility. The aim is to clarify the obstacles to differentiating the space of the analyst’s thought from that of the analysand. The presentation will begin with a description of the system used: from the agreed indifferentiation to the reflexivity carried by the representation of triangulation and the function of the ›third person‹. The relevance of the system will be discussed. The oral translation by an analyst acting as an interpreter of the clinical material of an analyst speaking in the language shared with the patient is central to this research. Listening to the »translation failures« and taking them up again in the associative work of the group makes it possible to think about differentiations and access to the recognition of the patient’s psychic suffering. A few clinical moments will allow us to follow how the separation between analyst and patient is achieved as the ›analysis of the analytic framework‹ progresses, as psychic reality and the external world are distinguished in the dynamics of the encounter.
Laurence Kahn (Paris): »In allen Stockwerken zugleich arbeiten«. Hommage an Françoise Coblence
Zusammenfassung
Im Gedenken an die verstorbene französische Psychoanalytikerin Françoise Coblence setzt sich die Autorin mit deren vielschichtigen Überlegungen zum psychischen Ort und dem Nicht-Ort dessen, was nicht stattgefunden hat, auseinander. Diese Überlegungen befassen sich, stets basierend auf einem tiefen Verständnis der Psychoanalyse wie auch der Philosophie, besonders mit den Grenzen, Grenzzonen, Rändern und Umwegen und verweigern sich der Vereinfachung besonders angesichts der Fruchtbarkeit des Paradoxons. Kahn verweist auf die kreativen Bezüge zu Ästhetik, Kunst, den Blick, die Musik, das Fühlen, die Affekte und spannt den Bogen über die Entwicklung des Denkens von Françoise Coblence.
Summary
In memory of the deceased French psychoanalyst Françoise Coblence, the author explores her multi-layered reflections on the psychic place and the nonplace of what has not taken place. These reflections, always based on a Deep understanding of psychoanalysis as well as philosophy, are particularly concerned with the boundaries, border zones, edges and detours and refuse to simplify, especially in view of the fertility of the paradox. Kahn refers to the creative references to aesthetics, art, the gaze, music, feeling, affects and spans the development of Françoise Coblence’s thinking.
Evelyne Chauvet (Paris): Das Leben der Affekte, das affektbesetzte Leben (la vie affectée)
Zusammenfassung
Zu Ehren der verstorbenen französischen Psychoanalytikerin Françoise Coblence beschreibt die Autorin deren Arbeit über die Bedeutung der Affektbesetzungen für die Entwicklung der Seele als Körper-Denken, das durch die Alterität in ihrer Gleichheit und ihrer Differenz mitgeprägt ist.
Summary
In honour oft he late French psychoanalyst Françoise Coblence, the author describes her work on the significance of affect in the development of the bodythinking shaped by alterity in its sameness and difference.
Martina Feurer (Freiburg): Von der Vernichtung des Denkens bis zu seiner Überbesetzung. Angriffe auf das Denken bei Piera Aulagnier und Donald W. Winnicott
Zusammenfassung
Aulagnier und Winnicott haben aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven die (Zer-)störbarkeit des Denkens untersucht. Beide interessierten sich für den Zusammenhang zwischen dem Schweregrad von Denkstörungen und den Stadien der Denkentwicklung. Aulagnier entwickelte das Konzept des originärprozesshaften Denkens, das dem Primär- und Sekundärprozess vorausgeht. Denken und Gedachtes sind in dieser frühen Denkform ungetrennt, so dass in einer schweren Versagungssituation der Denkende nur sich selbst angreifen kann, um den vermeintlichen Verursacher der Versagung zu vernichten. Winnicott hatte ganz ähnliche Entdeckungen gemacht. Zu schweres Anpassungsversagen im Stadium absoluter Abhängigkeit bedroht den Säugling mit Vernichtung. Die drohende Vernichtung wird durch eine intellektuelle Aktivität, die das Widerfahrene speichert, abgespalten. Diese zu früh erzwungene Denkaktivität, die Winnicott katalogisierendes Denken nennt, kann zum quälenden Fremdkörper im Inneren und in der Folge zur Selbstzerstörung führen. Wenn Übergriffe und Anpassungsversagen in späteren Entwicklungsstadien stattfinden, wird das unzulängliche Objekt durch die Überbesetzung des eigenen Intellekts ersetzt, der nun die Aufgabe des Selbst-Haltens übernimmt. Für Aulagnier entsteht die libidinöse Überbesetzung des Denkens, wenn ein Kind zu früh zwischen wahr und falsch unterscheiden muss, weil es entdeckt, dass es vom Objekt angelogen wird. Aulagnier geht von einem Wisstrieb aus, dessen zu frühe Verstärkung zu einer ruhelosen, unstillbaren Suche nach Wahrheit und Erkenntnis führen kann.
Summary
Aulagnier and Winnicott analysed the disruptibility of thinking from different theoretical perspectives. Both were interested in the connection between the severity of thought disorders and the stages of thought development. Aulagnier developed the concept of originary-process thinking, which precedes the primary and secondary processes. In this early form of thinking, thinkingand thought are inseparable, so that in a severe failure situation the thinker can only attack himself in order to destroy the supposed cause of the failure. Winnicott had made very similar discoveries. Too severe adaption failure in the stage of absolute dependence threatens the infant with annihilation. The threat of annihilation is split off by an intellectual activity that stores the experience. This thinking activity that is forced too early, which Winnicott calls cataloging thinking, can lead to an interial tormenting foreign body and subsequently to self-destruction. When assaults and adaptive failures occur in later stages of development, the inadequate object is replaced by the hypercathexis of one’s own intellect, which now takes on the task of self-holding. For Aulagnier, the libidinal hypercathexis of thinking arises when a child has to differentiate too early between true and false because it discovers that it is being lied to by the object. Aulagnier assumes that there is a drive to know, which, if reinforced too early, can lead to a restless, insatiable search for truth and knowledge.