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Abstracts Heft 2_3/2017

Redaktionelles Vorwort

Keynote papers vom 50. Kongress der IPA in Buenos Aires 2017

Ruggero Levy: Intimität: Drama und Ästhetik der Begegnung mit dem Anderen

Zusammenfassung
Der Autor beginnt mit allgemeinen Überlegungen über Intimität im Leben, im Lebenszyklus und in Beziehungen generell. Er definiert Intimität als emotionale Erfahrung des In-Kontakt-Kommens mit sich selbst und einem anderen. Dann rückt er die Beschreibung des Erlebens von Intimität innerhalb der analytischen Beziehung in den Mittelpunkt, indem er behauptet, dass die Begegnung zweier Subjekte und ihrer Subjektivität einen Bereich emotionaler Turbulenzen schafft, der, wenn er toleriert, symbolisiert und daher gedacht werden kann, zu Wissen über die Intimität der eigenen Emotionen sowie der Gefühle eines anderen führen kann. Daher verkörpert die Emotion, die im Kontakt mit einem Anderen erlebt wird, eine Verbindung zwischen den beiden und erlaubt uns, zu wissen, was in uns und in der Person geschieht, mit der wir in Kontakt sind.

Summary
The author begins with general considerations about intimacy in life, the life cycle, and relationships in general. He defines intimacy as an emotional experience of contact with oneself and with another subject. He then focuses on describing the experience of intimacy in the analytic relationship, asserting that the encounter between two subjects and their subjectivities creates an area of emotional turbulence, which, if tolerated, symbolically transformed, and, therefore, thought out, may lead to knowledge about the intimacy of one’s emotions and those of the other person. Thus, the emotion experienced in contact with the Other embodies the link between the two, and allows us to know what is happening within both ourselves and the person with whom we are in contact.

 

Adrienne Harris: Intimität: Der Panzer im Schlafzimmer

Zusammenfassung
Dieser Titel stammt aus einem Aufsatz über die Auswirkungen von politischen, vor allem totalitären Regimen auf das intime Leben. Wesentlich erscheint mir dabei, dass Sexualität, geschlechtsspezifische Subjektivität und Intimität nicht einfach persönliche, eigenständige Angelegenheiten darstellen, sondern immer von äußeren Mächten und der Geschichte durchdrungen sind. Intimität ist ein Ort des Widerspruchs von Freiheit und Regulierung. Das intime Leben, besonders jenes des Körpers, des geschlechtlichen Erlebens, der Sexualität, ist immer schon von Regeln, Gewalt und Machtausübung durchsetzt. Macht, die sich im Mikro‑ und Makrokontext auf vielen sozialen, familiären, zwischenmenschlichen und auch politischen Ebenen einschleicht und bewusst oder unbewusst unser intimstes seelisches und körperliches Leben bestimmt. Die postmoderne Theorie und die zeitgenössische amerikanische Psychoanalyse haben dafür gesorgt, dass Intimität und Privatheit heute nicht mehr als Rückzugsort vor dem Anderssein oder vor der Geschichte oder dem Staat zu betrachten ist.

Summary
This title comes from an essay on the impact of political and, in particular, totalitarian regimes on intimate life. What I most want to convey today is that sexuality, gendered subjectivity, and intimacy are not simply personal and self contained, but always invaded by and cohabiting with forces of power and history, whether violent or seductive or dominating, or all at once. Intimacy is the contradictory site of freedom and regulation. Intimate life, particularly the intimate life of the body, of gendered experience, and of sexuality, is always already infused by regulation, by violence, and by power. Power expressed in micro and macro forms at many social, familial, interpersonal, and political levels invades and constitutes, in conscious and unconscious forms, our most intimate and intricate psychic and somatic lives. Postmodern theory, and contemporary American psychoanalytic work across many traditions, ensures that one can no longer see privacy and intimacy as a refuge from otherness, or from history.


Björn Salomonsson/Majlis Winberg Salomonsson: Wie wird Intimität verhindert und wie wird sie hergestellt: die Beobachtung eines Mädchens vom Säuglingsalter bis zur Kinderpsychotherapie

Zusammenfassung
Der Artikel beruht auf der Einzelfallstudie einer Mutter und ihrer Tochter vom fünften Monat bis zum Alter von siebeneinhalb Jahren. Sie nahmen an einer randomisierten kontrollierten Studie über die psychoanalytische Behandlung von Mutter und Kind teil, einschließlich einer Follow-up-Untersuchung mit viereinhalb Jahren. Das Kind befand sich von sechs bis siebeneinhalb Jahren in einer Kinderpsychotherapie. Das gemischte Setting beinhaltete Forschungsinterviews, Videoaufnahmen der Mutter-Kind-Interaktionen, andere Beurteilungsinstrumente
und Aufzeichnungen der Therapiestunden. Dies ermöglichte den Autoren, konzeptuelle Verbindungen zwischen den Beobachtungen herzustellen, die sie im Säuglingsalter und während der Behandlung einer Neurose in der Latenz, die von Angst und Herrschsucht gekennzeichnet war, machten. Sie behaupten, dass die schroffe und beschleunigte Qualität der Mutter-Kind-Beziehung die Entwicklung von Intimität bei dem Mädchen verhinderte. Um zu verstehen, wie solche Teile der Beziehung vom Mädchen internalisiert werden, verbinden die Autoren verschiedene Datenquellen. Der heuristische Wert jeder einzelnen Datenquelle ist notwendigerweise begrenzt. Sie denken, dass deshalb sowohl psychoanalytisches Verstehen als auch die empirische Forschung notwendig sind, um zu einem vertieften Verständnis der Beziehung zwischen äußeren Einflüssen und innerer Entwicklung zu gelangen.

Summary
The paper is based on a single case study of a mother and her daughter, from 5 months to 7½ years. They participated in an RCT on mother-infant psychoanalytic treatment, including a follow-up study at 4½ years. The girl was then in child psychotherapy from 6 to 7½ years. The mix of settings allowed for research interviews, video-recordings of the dyad’s interactions, other assessments, and notes from therapeutic sessions. This enabled the authors to forge conceptual links between the observations they made during infancy and the treatment of a neurosis during latency, marked by anxiety and bossiness. They argue that the mother-infant relationship’s brusque and speedy qualities thwarted the girl’s development of intimacy. To understand how such components of the relationship became internalised in her, the authors combine their various data sources. The heuristic value of each are necessarily limited and therefore, the authors argue, both psychoanalytic understanding and empirical research are needed to gain a deeper understanding of the relations between external influence and internal development.

 

Annemarie Andina-Kernen: Vom Zauber der Worte. Zum Sprung vom Somatischen ins Psychische und zur Bedeutung von Metaphern

Zusammenfassung
Ausgehend von Freuds Ausführungen zum »Zauber der Worte« (Freud, 1890a) wird anhand zweier unterschiedlicher Fallbeispiele der Inhalt des Wortzaubers untersucht. Im ersten Beispiel zeigt sich der Zauber im Verschwinden des Symptoms, im zweiten in Transformationen physischer Erregung in psychische Vorstellungen. Dabei erhalten bildhafte Darstellungen eine besondere Bedeutung. Philosophische Erkenntnisse zur Metapher und Aussagen von Schriftstellern zum schöpferischen Prozess ergänzen die psychoanalytischen Überlegungen.

Summary
Based on Freud’s thoughts on »magic of words« (Freud, 1890a), the content of the text gets investigated using two different case studies. The magic reveals itself in the disappearance of the symptom in the first example, whilst through transformation of physical arousal in psychological imagination in the second. In both case studies, pictorial representation gains special significance. Philosophical findings about the metaphor and statements by authors regarding the creative process complement the psychoanalytical considerations.

 

Silke Wöhrmann: »Gibt es für all das einen Container?« – Gedanken zur subjektiven Indikation bei einer schwer traumatisierten Patientin

Zusammenfassung
Anhand der Anfangsszene und der Erstinterviews mit einer schwer traumatisierten Patientin wird untersucht, wie die subjektive Indikation zu einer hochfrequenten Analyse zustande kam. Es werden Faktoren aufseiten der Patientin und der Analytikerin sowie deren Einfluss beim Zustandekommen der Indikation diskutiert. Starke Spaltungsvorgänge und projektive Identifikationen waren zu Beginn der Analyse vorherrschend, was beinahe eine Bedingung für die Behandlung der Patientin gewesen zu sein scheint, nämlich sehr viel haltendes und lebendiges Wollen aufseiten der Analytikerin gegenüber dem vielen Kranken, Suizidalen und Toten in der Patientin. Diese Spaltung konnte im Verlauf der Analyse teilweise aufgehoben werden, als das Hoffnungslose und Tote in die Übertragung gelangen konnten.

Summary
Based on the »opening scene« and the preliminary interviews with a severely traumatized patient, the author examines how she arrived at the »subjective indication« for a high frequent analysis. In her discussion the author focuses on contributing factors in the patient and the analyst and their impact on the conclusion of the assessment with an indication for analysis. Processes of severe splitting and projective identification dominated the start of the analysis, seemingly a precondition for the treatment of the patient: on the side of the analyst there was a lot of holding and lively desire in the face of a great deal of disturbance, suicidal ideas, and deadness in the patient. In the course of the analysis this splitting could gradually be reduced, once the hopelessness and deadness could be brought into the transference.

 

Thomas Müller: Freud, Bion, Rosenfeld – Theorien der Psychose

Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit erörtert spezifische Merkmale der Psychosentheorien Freuds, Bions und Rosenfelds. Die Untersuchung zentraler Konzepte wie Abzug der Besetzungen (Freud), defensive Desintegration des Selbst (Bion) und psychotische Organisation (Rosenfeld) zeigt neben Differenzen auch strukturelle Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen der drei Autoren. Abschließend wird klinisches Material aus der Behandlung eines schizophrenen Patienten vorgestellt, um die diskutierten Überlegungen zu illustrieren.

Summary
The paper discusses specific features of Freud’s, Bion’s, and Rosenfeld’s theories of the psychoses. The examination of central theoretical aspects as decathexis (Freud), defensive desintegration of the self (Bion), and psychotic organisation (Rosenfeld) offers insight into differences as well as structural accordance among the three authors’ conceptions. Finally clinical material from the treatment of a schizophrenic patient is presented to illustrate the theoretial considerations.

 

Jacques Press: Melancholie und Angst vor dem Zusammenbruch

Zusammenfassung
Der Autor bezieht sich in seinen Überlegungen auf zweierlei: Zum einen auf seine Klinik, die ein Oszillieren zwischen melancholischen Bewegungen und Bewegungen des Zusammenbruchs hervorhebt; der theoretische Bezug lässt ihn den Zusammenbruch als eine zentrale psychosomatische Kreuzung überdenken. Trauer und Melancholie (Freud) und Angst vor einem Zusammenbruch (Winnicott) werden einer vergleichenden Analyse unterzogen. Dabei vertritt der Autor die Hypothese, dass die Melancholie eine der straffsten Abwehrformen gegen das Erleben des Zusammenbruchs sei. Daraus ergeben sich seiner Ansicht nach klinische Konsequenzen: es gehe jedes Mal darum, von der melancholischen Abwehr zum darunterliegenden Zusammenbruch vorzudringen.

Summary
The author refers to two things in his reflections: on the one hand, his clinic, which emphasizes an oscillation between melancholic movements and movements of breakdown. The theoretical reference makes him think of the breakdown as a central psychosomatic junction. Mourning and Melancholy (Freud) and Fear of Breakdown (Winnicott) are subjected to a comparative analysis. In doing so, the author argues that melancholy is one of the most rigid forms of defense against the experience of breakdown. This leads, according to him, to clinical consequences: it is always a matter of advancing from the melancholy defense to the underlying breakdown.


Nina de Spengler-Knecht: Das Schweigen der Tiere. Die Psychoanalyse auf dem Prüfstand der Animalität

Zusammenfassung
Das Tier ist auch ein infans: Es ist der menschlichen Sprache ledig und besitzt völlige Freiheit in Bezug auf den Trieb und den Körper, während das Kind der Beobachtung und Kontrolle des elterlichen Über-Ich nie ganz entkommt. Das Tier ist der absolute Andere des Erwachsenen, aber nicht des Kindes, das das Tier als ihm ähnlich empfindet. In diesem Artikel versucht die Autorin zu zeigen, dass das Auftauchen von Tieren in den Träumen Erwachsener – oder in ihren Assoziationen – ein kostbares Gut und in manchen Behandlungen eine entscheidende Wendung darstellen kann, insbesondere bei Patienten, deren primärprozesshafte Funktionen eingeschränkt sind. Einige klinische Beispiele sollen andeuten, dass die Übertragung die Form von Tiergestalten annehmen kann und dass wir in diesen Fällen den Trieb nicht direkt deuten, sondern dem Patienten die Möglichkeit geben sollten, seine imaginäre oder reale Beziehung zu Tieren auf einer bewussten Ebene auszuarbeiten.

Summary
Animals are also infans: they escape from human language and have access to a total freedom with regards to their drive and bodies, while the child never totally escapes observation and control of a parental superego. The animal is the absolute other of the adult, but not of the child, who perceives the animal as similar to them. In this article, the author seeks to show that animal presence in dreams of adult patients – or in their associations – can represent a precious asset and mark a decisive turn in certain treatments; in particular for patients whose primary processes are suffering. A few clinical examples will suggest that the transfer can take an animal form and that, in these cases, we should not directly interpret the drive, but first allow the patient to elaborate at a conscious level their imaginary and/or real relationship to animals.