Ludwig Wittgenstein: Wiener Ausgabe
Herausgegeben von Michael Nedo
Zu seinen Lebzeiten hat Ludwig Wittgenstein nur einen einzigen philosophischen Text veröffentlicht, die »Logisch-Philosophische Abhandlung«, heute bekannt unter dem Titel der englischen Übersetzung »Tractatus Logico-Philosophicus«.
Nach Wittgensteins Tod, im April 1951, haben seine Erben (Rush Rhees, Elizabeth Anscombe und Georg Henrik von Wright) in großer Eile Schriften aus seinem Nachlass veröffentlicht. Der erste Band, die »Philosophischen Untersuchungen«, erschien 1953 bei den Verlagen Blackwell und Suhrkamp. Bis 1993 erschienen weitere Bände (Suhrkamp Werkausgabe in 8 Bänden), welche aber nur etwa 20% der nachgelassenen Schriften repräsentieren. Diese Ausgaben wurden von der Forschung kritisiert, da sie in ihrer Unvollständigkeit und der problematischen Edition den Blick auf das Werk verstellten.
Im Oktober 1974 beauftragten die Erben Wittgensteins Michael Nedo mit der Herausgabe einer nach philologischen Kriterien edierten, vollständigen Gesamtausgabe. Nedo erarbeitete auf der Grundlage des The Big Typescript-Korpus das Editions-Konzept. Fünfzehn Bände erschienen in den Jahren 1993 bis 2000 im Springer-Verlag, Wien, darunter ein Einführungsband, zwei Apparatebände und eine fünfbändige Studienausgabe. Es erschienen international mehr als 500 Rezensionen, alle zustimmend, die meisten emphatisch. So schrieb The Times Literary Supplement: »All in all, the Vienna Edition combines readability with accuracy, elegance with lavish detail. It will be a valuable source to scholars, an example to philologists, and a pleasure to bibliophiles.« Und Karl Popper nannte die Wiener Ausgabe »die wesentlichste Buchedition des Jahrhunderts«.
Als der Springer-Verlag in Wien die Produktion einstellte, schien eine Weiterführung der Edition nicht mehr möglich. Denn mittlerweile hatte sich auch die Einschätzung der Situation auf dem Büchermarkt radikal verändert: Viele wissenschaftliche Bibliothekare waren überzeugt, dass die an der Universität Bergen angebotene Nachlass-Datenbank der Manuskripte Wittgensteins die Forschung ausreichend versorgen würde – und so schien man mit ihnen als Käufer der gedruckten Edition nicht mehr rechnen zu können.
Aber so hilfreich eine elektronische Edition auch sein mag: Der Zugang zu und das Verständnis von einem geisteswissenschaftlichen Text ist im gedruckten Buch nach wie vor unübertroffen. Das trifft in besonderem Maße auf die Schriften Wittgensteins zu, was sich leicht an einem Vergleich der gedruckten Texte mit den online verfügbaren nachvollziehen lässt. Sehr anschaulich zeigt Michael Nedo das an der Gegenüberstellung einer Wittgenstein-Seite der Bergener Edition und der entsprechenden Seite im gedruckten Band: »Digital versus Print«.
Von 1994 bis 2001 wurde die Edition vom österreichischen FWF gefördert, außerdem vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank und dem Wissenschaftsförderungsfonds der Stadt Wien. Derzeit unterstützt die Stadt Wien das Projekt über die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Und seit dem Jahr 2011 ist die Wittgenstein-Edition ein Forschungsprojekt von Clare Hall: ›A College for Advanced Studies in the University of Cambridge‹.
Um die Edition des Wittgenstein-MSS-Korpus The Big Typescript von 1929–1934 zum Abschluss zu bringen, sollen in den nächsten drei Jahren siebzehn weitere Bände veröffentlicht werden. Beginnend mit Band 8,2 erscheint die Wiener Ausgabe nun im Verlag Vittorio Klostermann. Darüber hinausgehende und die gedruckten Bände der Wiener Ausgabe ergänzende Apparate werden in Zukunft in elektronischer Form veröffentlicht werden. Einen detaillierten Editionsplan finden Sie hier. Und eine graphische Übersicht zur Architektur vom Big Typescript hier.
Die Bände der Wiener Ausgabe haben einen Umfang zwischen 150 und 600 Seiten im Format 21,5 x 33 cm. Sie haben Fadenheftung, Ganzleinen und Schutzumschlag; umfangreichere Manuskripte erscheinen in Bänden zu mehreren Teilen. Die Bände der Studienausgabe erscheinen im Format 16,5 x 24 cm in einer fadengehefteten Broschur.
Stand: 6. Mai 2019