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Günter Figal: Akademische Philosophie

Man sagt, dass Totgesagte länger leben. So ist es der Kunst ergangen, deren Ende Hegel zu einer Zeit voraussah, als sie besonders interessante Zeiten vor sich hatte, und wahrscheinlich geht es auch der Philosophie so, deren Ende nicht erst von Wissenschaftlern wie Stephen Hawking beschworen wird. Hawking hat einen Verbündeten in Martin Heidegger, der schon in einem Vortragstext aus dem Jahr 1964 vom „Ende der Philosophie“ sprach und das mit einem ähnlichen Argument wie Hawking begründete. Die ehemals zur Philosophie gehörenden Wissenschaften, meinte Heidegger, hätten sich dieser gegenüber verselbständigt, und in dieser Verselbständigung löse sich die Philosophie auf.

Heideggers Argument ist nicht durch die Versicherung zu entkräften, Philosophie werde doch weiterhin getrieben; das würde Heidegger sofort zugestehen, aber hinzufügen, was dabei ‚Philosophie’ genannt werde, sei kraftloses, epigonales Stückwerk. Überzeugender sollte der Hinweis darauf sein, dass die Philosophie seit Platon, also von Anfang an, nicht als Universal- oder Überwissenschaft verstanden wurde, sondern als Möglichkeit einer Klärung dessen, was in den Wissenschaften nicht geklärt werden kann, weil es die Voraussetzung der Wissenschaft bildet. Diesem Programm sind die Philosophen nie ganz untreu geworden. So fragt Wittgenstein nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und zeigt, dass diese in der Beschreibung von Praktiken zu suchen ist, die allem wissenschaftlichen Denken vorausliegen. So fragt Husserl nach der ‚Lebenswelt’ als der vorwissenschaftlichen Sinnsphäre, ohne die Wissenschaft nicht möglich ist, und bevor Heidegger glaubte, nach dem Ende der Philosophie könne es nur noch eine – nämlich seine – „Aufgabe des Denkens“ geben, fragte er nach der alle Wissenschaft ermöglichenden Welterschlossenheit im „Dasein“. Solche Fragen lassen sich möglicherweise leichter und klarer stellen, wenn die Philosophie sich nicht mehr mit universalwissenschaftlichen Ansprüchen belastet. Nach der Verselbständigung der ehemals zur Philosophie gehörenden Wissenschaften ist die Philosophie schlanker geworden, aber damit vielleicht auch leistungsfähiger – besser imstande, sich auf ihre originären Aufgaben zu besinnen.

Das muss man, wenn man philosophieren möchte, freilich auch wollen, und ernsthaft wollen kann man es wohl nur, wenn man bereit ist, sich auf die Philosophie so, wie sie ist und geworden ist, einzulassen, das heißt: auf eine in gut zweieinhalbtausend Jahren erworbene Frage- und Antwortkompetenz, auf einen Schatz konzeptueller Erfahrungs- und Artikulationsmöglichkeiten. Es wäre unklug, diese Möglichkeiten zu ignorieren und hinter dem, was möglich ist, zurückzubleiben. Entsprechend kann man philosophisch nur klug sein, indem man diese Möglichkeiten möglichst gründlich studiert. Das geht auf seriöse Weise nur unter professioneller Anleitung, also im Zusammenhang der so genannten akademischen Philosophie. Normalerweise ist die Philosophie akademisch, und als akademische Philosophie hat sie sich auch im Großen und Ganzen bewährt. Gewiss, Wittgenstein und  Nietzsche waren keine studierten Philosophen. Tadao Ando, einer der bedeutendsten Architekten der Gegenwart, hat nie Architektur studiert. Aber ist das ein Argument dafür, die Architektur als akademisches Fach abzuschaffen? Dass man durch ein Architekturstudium jemand wie Ando wird, ist allerdings auch nicht garantiert.

Die so genannte ‚Geschichte der Philosophie’ ist also keine neben der eigentlichen Philosophie eingerichtete, mehr oder weniger angestaubte Nebenabteilung, sondern die Ressource des Philosophierens. Als diese Ressource wird sie freilich nur erkennbar, wenn man sie nutzt. Dazu wiederum reicht diese Kompetenz alleine nicht hin. Zum Philosophieren gehören Sachorientierung und Sachlichkeit; man muss an etwas interessiert sein, das man unvoreingenommen anschaut, so dass man ihm das Nachdenken unterstellen kann. Um die Sache des jeweiligen Philosophierens zu klären, müssen die Möglichkeiten des Begreifens, die man ins Spiel bringt, sich an einer Sache bewähren. Sie dürfen nicht zu Voraussetzungen werden, die man für selbstverständlich hält, sondern immer wieder muss sich zeigen, dass sie wirklich Möglichkeiten des Begreifens sind. In der sachorientierten Erkundung und Erprobung dieser Möglichkeiten philosophiert man. So sollte man philosophieren, wenn man dem Anspruch, dem das Philosophieren von Anfang an, also seit Platon, untersteht, auch nur einigermaßen gerecht werden will.

 

Günter Figal ist Professor für Philosophie an der Universität Freiburg i.Br.

 

 

Kommentare: 1

Kommentare: 1

Jörg Phil Friedrich |
AW: Günter Figal: Akademische Philosophie
Heidegger hat zwar das Ende der "Philosophie" für möglich gehalten, vielleicht sogar erhofft, aber nicht das des Denkens. Wenn Heidegger in der Mitte der 1960er und auch schon vorher ein Ende, eine Auflösung gesehen hat, dann für die Philosophie als Universitätsbetrieb. Das ist aber ein ganz anderes Argument als das von Hawking.

Das das Denken notwendig und möglich bleibt, hat Heidegger hingegen immer wieder betont, sehr stark und eindringlich im Spiegel-Interview vor fast genau 50 Jahren.
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